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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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unvermittelt. Gerit blinzelte. »Er war ein Mann, der Respekt forderte, und ich bin sicher, dass du ihn respektiert hast. Und doch verrätst du eines seiner Geheimnisse an die Feinde, die ihn umgebracht haben.
    Warum? Glaubst du, dein Verrat wird dich beliebter machen? Willst du dich einschmeicheln?«
    »Nein.« Gerits Gedanken überschlugen sich. »Nein«, wiederholte er. Worte formten sich in seinem Geist, flossen über seine Lippen. »Ich will, dass du und Schwarzklaue ehrenhaft geschlagen werdet«, sagte er. Seine Stimme war rau. »Wenn eure Köpfe auf den Lanzen Westfalls stecken, soll keiner sagen können, wir hätten euch nur wegen eines dummen Passes besiegt. Ein ehrlicher Kampf. Gleiche Bedingungen. Dann werden alle wissen, dass die Menschen besser als die Nachtschatten sind.«
    Korvellans Gesicht war regungslos. Schwarzklaue knurrte. Es dauerte einen Moment, bis Gerit begriff, dass er lachte.
    »Was für eine Antwort! Ein Schwächling würde dir die Zunge dafür herausreißen, aber ich möchte mit dir anstoßen. Nimm Mortamers Krug.«
    Gerit ergriff den Krug mit beiden Händen, um sein Zittern zu verbergen.
    »Hoffnung«, sagte Schwarzklaue laut. »So stößt man doch in Westfall an, nicht wahr?«
    »Ja.« Korvellan wirkte nachdenklich.
    Er glaubt mir nicht, dachte Gerit. Er hatte nicht gewusst, was er sagen würde, bis seine Lippen die Worte formten. Seine Antwort hatte ihn selbst überrascht.
    Er stieß mit Schwarzklaue an, trank den ganzen Krug aus. Bier lief an seinem Hals herunter über seine Brust.
    »Verlass bitte jetzt das Zimmer«, sagte Korvellan.
    Gerit befolgte den Befehl. Er schloss die Tür hinter sich und ging ein Stück in den Gang hinein. In einer Nische blieb er stehen. Er zog Pergamentreste und ein winziges Stück Kohle aus seiner Hosentasche. Sorgfältig schrieb er die Zahlen von Korvellans Schiefertafel auf, die er sich gemerkt hatte, während der General den Pass auf der Karte betrachtete. Gerit hoffte, dass sie wichtiger waren als das Geheimnis, das er preisgegeben hatte.
    Ich werde herausfinden, was sie bedeuten, dachte er, und wenn ich alles über die Pläne der Nachtschatten erfahren habe, werde ich fliehen.
    Er setzte sich auf die Steine und schloss die Augen. In Gedanken sah er sich in Westfall eintreffen an der Spitze einer Armee, Schwarzklaues abgeschlagenen Kopf vor sich hertragend. Die Straßen waren mit Federn und Blütenblättern bedeckt. Menschen jubelten ihm zu. Alle wussten, was sie ihm zu verdanken hatten. Ana war dort und Norhan. Sie winkten und lachten. Seine Mutter stand hinter einem Vorhang, er wusste nicht, weshalb. Sein Vater war nirgends zu sehen. Er drehte sich um. Korvellan saß neben ihm auf einem Pferd. »Du bist ein Held«, sagte er.
    »Gerit!«
    Gerit zuckte zusammen und öffnete die Augen, wusste einen Moment lang nicht, wo er war. Dann hörte er Schwarzklaues Stimme.
    »Gerit, mehr Bier! Und bring was Warmes zu essen mit.«
    »Sofort.« Er kam auf die Füße und lief den Gang hinunter, der Küche entgegen. Das Pergament in der Hosentasche drückte gegen seine Hüfte.

 
    Kapitel 17
     
    Langsamkeit ist ein Geschenk, das nur der weise Reisende zu würdigen weiß.
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
     
     
    »Wieso ist deine Laune so schlecht?«, fragte Fyramei. Sie hockte neben Ana unter den ausladenden Ästen eines Fächerbaums und schnitt Schimmelflecke aus einem Brotlaib. In der Abendsonne wirkte ihr Gesicht golden. »Wir haben zu essen, zu trinken und einen Platz zum Schlafen. Du solltest glücklich sein.«
    Fyramei war Tänzerin. Sie war hübsch, obwohl schon erste graue Strähnen ihr Haar durchzogen und die Haut um ihre Augen faltig geworden war. In den Dörfern johlten die Männer, wenn sie auftrat. Ana hatte gehört, wie einer der Jongleure zu Daneel sagte, Fyramei verdiene mehr nach ihrem Auftritt als währenddessen. Erst einige Stunden später hatte sie begriffen, was damit gemeint war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Ana. Sie nahm eine Wurzel und begann sie zu schälen. »Es ist so, als würden wir stillstehen, obwohl wir gehen. Wir kommen nirgends an, ziehen immer nur weiter.«
    »So ist nun mal unser Leben.« Fyramei lächelte. »Wir haben kein Ziel.« Sie wickelte das gesäuberte Brot in ein Tuch. »Aber du hast ein Ziel, nicht wahr?«
    »Nein.« Ana antwortete schnell. »Wir wollen weg von zuhause, das ist alles.«
    Das war die Geschichte, die Ana sich ausgedacht hatte. Sie und Jonan hatten in die

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