Sturm
Mit den Händen zog er sich vorwärts. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund weit aufgerissen. Blut lief über sein Kinn. Er keuchte.
Ana löste sich aus den Schatten und blieb neben ihm stehen. Er bemerkte sie nicht. Sie hob den Holzscheit über ihren Kopf. Er war so lang wie ihr Arm und schwer.
Ich muss nur zuschlagen, dachte sie. So als würde man eine Maus mit einem Stiefel erschlagen.
Aber sein Kopf sah nicht aus wie eine Maus. Das Haar darauf war dunkel und dünn. Es hing in seinen Nacken und in sein Gesicht. Sie sah den Schweiß auf seiner Stirn, hörte seinen gurgelnden, keuchenden Atem. Er entfernte sich von ihr. Sie benötigte nur einen Schritt, um ihn einzuholen.
Sie setzte zum Schlag an, stoppte, setzte ein zweites Mal an.
»Pass auf!«, schrie Qaru.
Ana fuhr herum. Ein bärtiges Gesicht, ein Messer, plötzlich wild umherflatternde Pergamente, die den Stoß des Mannes ins Leere gehen ließen. Er grunzte und schlug wütend nach den Seiten. Sie holte aus. Mit beiden Händen schwang sie den Holzscheit. Der Schlag, der seinen Kopf traf, war so heftig, dass ihr das Holz aus den Fingern geprellt wurde. Etwas krachte, so wie Eis auf einer Pfütze, in die man hineintrat. Der bärtige Mann brach zusammen, fiel auf vollgekritzelte Seiten und blutiges Laub.
Ana hob den Holzscheit auf und sah sich nach dem Bauern um. Ihre Hände zitterten, und sie begann zu würgen, als sie die klebrigen blonden Haare zwischen den Holzsplittern sah, aber sie wusste, dass sie genügend Kraft hatte, um ein weiteres Mal zuzuschlagen. Doch das war nicht nötig. Der Bauer kroch nicht mehr. Sein Kopf war nach unten gesackt, seine Augen starrten ins Nichts. Er war tot.
Sie ließ den Scheit fallen. Sieben Männer lagen in der Waldschneise am Boden. Vier rührten sich nicht mehr, drei hatten sich zusammengekrümmt und wimmerten leise. Die restlichen drei mussten geflohen sein.
Jonan nickte Ana zu, als er ihren Blick bemerkte. Sein Gesicht war schweißbedeckt, aber er schien unverletzt zu sein.
»Wir müssen weg von hier«, sagte er. Hinter ihm kam Daneel von Ezza gestützt auf die Beine. Seine Stirn war blutig.
»Einen Moment noch.«
Ana sah zur Seite. Qaru hockte am Boden und zog seine Pergamente unter der Leiche hervor.
»Danke«, sagte Ana und bückte sich nach einigen Seiten. »Du hast mein Leben gerettet.«
Er hob die Schultern. »Wer kann so etwas schon mit Sicherheit sagen.«
Vorsichtig legte er die Seiten aufeinander. Ana reichte ihm die restlichen. »Ich glaube, das sind alle«, sagte sie. Ihr Blick fiel auf die merkwürdige, enge Schrift und die Zeichnungen, die jede Lücke im Text ausnutzten. Sie stutzte.
Qaru wollte ihr die Seiten aus der Hand nehmen, aber sie hielt sie fest. »Das ist nichts Besonderes«, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. »Nur ein paar Ereignisse, die ich beobachtete, während wir an der Straßenblockade warteten.«
»An der Straßenblockade in Ashanar?«, wiederholte Ana.
»Ja, als ihr zu uns kamt.«
Anas Blick hing an einem Gesicht in der rechten oberen Ecke der Seite. Es war ein faltiges, verwachsenes Gesicht mit dem Mund eines Affen und Augen, die Ana nie vergessen würde. Es war das Gesicht des Zwerges, der den Tod nach Somerstorm gebracht hatte.
Kapitel 18
Es mag den Reisenden erstaunen, dass Westfall trotz seines Wohlstands und des Erbes der Vergangenen kaum einen großen Denker hervorgebracht hat. Tatsächlich wird ein eigenständiger Geist weder erwartet noch geschätzt. Die Gedanken Westfalls ruhen, fest vertrauend auf die Gewissheit, dass nichts, was sich in ihnen regt, neben den Errungenschaften der Vergangenen bestehen könnte. Der Fürst und Philosoph Hallar II schrieb dazu: »Ich habe die Zukunft Westfalls gesucht und die Vergangenheit Westfalls gefunden.«
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
Oso zählte jede Stufe auf dem Weg in den Kerker. Er wirkte ängstlich. Craymorus fragte sich, was wohl mit ihm geschehen würde, wenn sich sein Herr auf der Kerkertreppe das Genick brach. Er wusste, dass Oso die Verantwortung für ihn trug, hatte es aber trotzdem abgelehnt, getragen zu werden. Die Steinstufen waren breit genug für seine Krücken.
»Achtzehn«, sagte Oso, als sie das Ende der Treppe erreichten. Craymorus wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Arme schmerzten.
»Hier entlang, Herr.« Oso führte ihn durch einige von Fackeln erhellte Gänge. Die Luft roch feucht, aber nicht
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