Sturm
mit.«
Der Dichter rollte seine Pergamente zusammen. Ezza, eine junge Frau, die kaum älter als Ana sein konnte, steckte eine Holzflöte in ihren Gürtel und stand auf. Sie spielte vier Instrumente, keines davon gut, aber das war auch nicht nötig, denn das winzige Auge, das aus ihrem Kinn wuchs, und die ebenso winzige Hand, die an ihrem Hals hing, lenkten die Zuschauer von allen anderen Darbietungen ab. Es sah aus, als wäre etwas in ihr gefangen.
Das Dorf lag nicht weit entfernt. Ana folgte Daneel den Pfad entlang an einem kleinen Waldstück vorbei. Jemand hatte eine Schneise hineingeschlagen. Brennholz lag gestapelt zwischen einigen Pflöcken. Es roch nach frisch gefälltem Holz.
Unmittelbar hinter dem Waldstück lag das Dorf. Es war größer als das, aus dem sie vertrieben worden waren. Die Holzhütten standen weit auseinander. Gemüsegärten und Hühnerställe lagen zwischen ihnen. Nichts wirkte alt oder verfallen, nur der hölzerne Brunnen am Rand des Dorfes schien älter als einige Jahre zu sein.
»Da hinten ist die Taverne«, sagte Ezza. Sie trug einen Umhang mit hohem Kragen, der die untere Hälfte ihres Gesichts verbarg.
Die Taverne war nur ein wenig größer als die anderen Hütten und lag in der Mitte des Dorfes. Die Tür zum Schankraum stand offen, aber die Gäste saßen draußen an langen, neu aussehenden Holztischen. Ein Hirsch hing an einem Spieß über der gemauerten Feuerstelle. Neben ihm stand ein älterer Mann, der eine Lederschürze trug und den Spieß langsam drehte. Hinter ihm sah Ana einen großen Bottich. Ab und zu stand einer der Gäste auf und füllte seinen Krug.
Daneel lächelte. »Frisch gebrautes Bier. Wir scheinen Glück zu haben.«
»Ich werde dir erst zustimmen, wenn sie uns etwas angeboten haben«, sagte Qaru. Sein Blick glitt über die Gäste. »Männer und Frauen sitzen zusammen, das ist gut. Dann werden sie lustige wie traurige Geschichten hören wollen.«
»Erzähl nur nicht wieder die mit den kranken Huren.« Ezza nickte zwei alten Frauen zu, die vor einer Hütte saßen. Die beiden Frauen lächelten und nickten zurück.
Auf den Bänken vor der Taverne drehten die Gäste sich nach und nach um. Ihre Gespräche verstummten. Ana bemerkte, dass Daneels Schritte länger und sein Lächeln breiter wurde. Sein Rücken war gerade, sein Kinn vorgestreckt. Vor den Gästen blieb er stehen und verneigte sich.
»Weit sind wir gereist«, rief er. »Viel haben wir gesehen.« Seine Stimme trug über den Dorfplatz hinweg. »Die schneebedeckten Berge des Nordens, von denen ein Wind weht so eisig, dass ein Mensch bei einem Schritt noch lebendig, beim nächsten schon erfroren ist. Die flirrende Hitze des Südens, in der die Vögel, die so töricht sind, am Mittag den Schatten zu verlassen, gebraten vom Himmel fallen. Über das Meer sind wir vor Ungeheuern geflohen, in tiefen Tälern suchten wir Schutz vor feurigem Regen.«
Er ging an den Holzbänken entlang, während er redete. Die Köpfe der Gäste drehten sich in seine Richtung, so als hielte er sie an unsichtbaren Schnüren.
»Ich könnte Geschichten erzählen, die eure Haare vor Entsetzen weiß färben würden«, fuhr Daneel fort, »doch nichts, gar nichts hat mich je so verzweifeln lassen wie der Anblick, dem ihr mich hier aussetzt.«
Einige Gäste runzelten die Stirn, andere begannen untereinander zu tuscheln. Ein Mann schüttelte sichtlich verärgert den Kopf.
»Was tut er da?«, fragte Jonan leise.
Daneel breitete die Arme aus. »Diesen Festschmaus zu sehen, der euch erwartet, diesen wunderbaren Duft zu riechen und doch zu wissen, dass ich nicht daran teilhaben kann« – er zog die Lippen zurück und zeigte seinen zahnlosen Mund –, »das ist zu viel für einen einfachen Gaukler wie mich.«
In gespielter Verzweiflung setzte er sich an einen leeren Tisch und stützte den Kopf in die Hände. Die Gäste begannen zu lachen, zuerst leise, dann immer lauter. Ein rotgesichtiger Mann, dem selbst nur ein einzelner brauner Zahn geblieben war, schlug Daneel auf die Schulter. »Wir teilen das gleiche Leid, mein Freund. Wenigstens das Saufen kann uns keiner nehmen.«
Er winkte dem Wirt zu. »Bring Bier für unsere Gäste. Niemand soll heute Abend verzweifelt sein.«
Männer und Frauen rückten zusammen, machten Platz für Ana und die anderen. Sie setzte sich mit dem Rücken zur Wand, so wie Jonan es ihr stets empfahl. Er setzte sich neben sie.
Eine junge Frau, die einen Säugling in den Armen hielt, beugte sich zu ihnen herüber.
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