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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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vernagelt worden. Natürlich, dachte er, einer der Geheimgänge endete direkt hinter dem Schrank. Korvellan musste ihn entdeckt haben.
    »… dass mir das nicht gefällt«, hörte er den General sagen. Er hatte die Tür fast erreicht.
    Gerit biss sich auf die Lippen. Seine Gedanken formulierten und verwarfen Ausreden, Entschuldigungen und Erklärungen. Nichts, was ihm einfiel, erschien ihm überzeugend.
    Ein Windhauch streifte sein Gesicht. Er sah zum Fenster, durch den Spalt hindurch in den grauen Himmel, der über der Festung hing. Ohne nachzudenken, sprang Gerit auf den Sessel und von da aus auf den Sims. Der Spalt war schmal. Die Steine pressten seinen Körper zusammen. Ihre Kanten kratzten über Brust und Rücken. Seine Finger ertasteten einen Vorsprung an der Außenwand, sein rechter Fuß fand einen zweiten. Gerit atmete aus, schob sich mit zusammengebissenen Zähnen weiter durch den Spalt. Seine Ohren schmerzten, als würden sie abgerissen.
    Korvellans Stimme war verstummt. Gerit stellte sich vor, wie er und der Zwerg im Raum standen, den Blick in stummer Verwunderung auf den Menschen gerichtet, der im Fenster hing. Der Drang zu lachen kroch aus seiner Brust in seine Kehle. Er biss sich auf die Zunge, und der Drang verging.
    »Du weißt, wo sie angreifen werden. Das ist gut.« Die Stimme des Zwerges war über dem Rauschen seiner Ohren kaum zu hören. Anscheinend hatten sie ihn doch noch nicht entdeckt.
    Ein letzter Ruck, dann hatte er den Spalt überwunden. Gerit drehte sich zur Seite, die Arme ausgestreckt, die Finger und Zehen in die Vorsprünge gekrallt. Er wagte es nicht, nach unten zu blicken oder den Kopf zu drehen. Seine Ohren brannten. Der Wind kühlte den Schweiß auf seinem Gesicht. Es hatte angefangen zu regnen, ein sprühender, unangenehmer Regen, der in den Augen stach.
    Ich werde einfach hier stehen bleiben und warten, dachte Gerit. Wenn sie gegangen sind, klettere ich wieder hinein.
    Er hörte Schritte im Zimmer, dann Korvellans Stimme. »Aber ich weiß auch, wie nah sie bereits sind. Balderick muss im Alter weise geworden sein. Als ich ihn kannte, hätte er nie einem anderen den ersten Angriff überlassen.«
    »Rickard ist jung, Mortamer. Du wirst ihn überlisten.«
    Rickard. Der Name vertrieb Schmerzen und Angst. Er kommt, dachte Gerit. Er kommt mich retten.
    Korvellan lachte. »Mit einer Armee aus Holz und Fell? Das müssen wir wohl, denn einen Kampf würden wir nicht für uns entscheiden können.«
    »Sieht es so schlecht aus?«, fragte der Zwerg. Seine Stimme kratzte wie Kreide über Schiefer.
    »Das weißt du besser als ich. Unser Volk hat den Ruf vernommen, nur folgen kann es ihm nicht. Die Straßen sind voller Soldaten, Schiffe dürfen nicht auslaufen, überall wird gefoltert und gemordet. Ich kann verstehen, dass selbst Tapfere den Weg nach Somerstorm meiden.«
    Gerit hörte das Rascheln von Pergament, dann sagte Grom: »Schwarzklaue zählt auf dich. Du musst ihm den Sieg bringen.«
    »Nicht ich werde darüber entscheiden, sondern das Wetter Somerstorms und die Klugheit Rickards. Wenn sein Geist und der Pass, der vor ihm liegt, in gleicher Weise vernebelt sind, wird der Tag vielleicht unser sein.«
    »Das sollte er besser. Ich würde nicht gern in anderer Funktion zurückkehren.« Der Zwerg lachte, Gerit wusste nicht, warum.
    Einen Moment herrschte Schweigen im Zimmer, dann sagte Korvellan: »Du hast deine Aufgaben, ich die meinen.« Gerit kannte seine Stimme so gut, dass er den Ärger hörte, den der General zu verbergen versuchte. »Du wirst zu Ende führen, was hier begonnen wurde. Nimm dir die Männer, die du brauchst.« Er machte eine Pause. »Aber zuerst werden wir essen, so wie es sich gehört. Gerit?«
    Gerit biss sich auf die Lippe. Korvellan wusste, dass er nicht weit weg sein konnte. Er hatte sich angewöhnt, stets in der Nähe des Generals zu sein, wenn der Gäste empfing – ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Unentbehrlichkeit. Wenn er nicht kam, würde Korvellan nach dem Grund fragen.
    »Gerit!«
    Er sah an der Mauer entlang zum nächsten Spalt. Auf ebenem Boden hätte Gerit ihn mit wenigen Schritten erreicht, doch hier oben erschien ihm die Entfernung beinahe unüberbrückbar. Er wagte es nicht, die Zehen vom Vorsprung zu lösen, zog sie stattdessen über Vogelkot und Dreck. Steine rissen seine Haut auf. Er dachte an die Lederstiefel, die er einem Toten von den Füßen gezogen hatte und die seitdem unbenutzt in der Küche standen. Er hatte einer Schwäche nachgegeben

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