Sturm
dieser Nacht.«
Doch sie gingen nie weg.
Einmal kamen sie bis zum Rand des Lagers, das die Gaukler auf einem Hügel über den Sümpfen aufgeschlagen hatten, bevor Daneel sie bemerkte und sie bat zurückzukehren. Er befahl nie, er drohte nie, er bat. Manchmal machte er sogar einen Scherz, über den Ana und Jonan lachten. Dann fragte sie sich, weshalb sie das Lager hatte verlassen wollen. Daneel war nett zu ihr, und ein weit gereister Mann wie er wusste sicher besser, was gut für sie war, als Jonan. Ihm konnte sie vertrauen.
Sie waren nicht die Einzigen, die zu fliehen versuchten. Eines Morgens trat Ana aus ihrem Zelt und sah Qaru, den Dichter, neben einem Ochsenkarren stehen. Er trug einen Rucksack auf dem Rücken und seine in Leder eingeschlagenen Pergamente unter dem Arm. Sein Gesicht war von Mücken so zerstochen worden, dass man ihn zwei Tage lang wie einen Blinden führen musste. Er wusste nicht mehr, weshalb er seine Sachen gepackt und das Zelt verlassen hatte. »Den Gedanken daran habe ich wohl verlegt«, sagte er.
Es war ein merkwürdiger Satz, doch für Ana fasste er zusammen, was sie fühlte.
Im Kreis zogen sie durch das Sumpfland, blieben immer auf der einzigen Straße, die sie an kleinen, auf Stelzen gebauten Dörfern und endlosem grünen Dickicht vorbeiführte. Alles war grün, die Blätter der Bäume, der moosbedeckte Boden, das Wasser mit all seinen Pflanzen, der Schimmel, der sich durch die Vorräte fraß, die Menschen in ihrer Kleidung aus Blättern und Pflanzenstängeln. Selbst der Nebel, der über den Sümpfen lag und die Kehle zum Husten reizte, schimmerte grünlich.
Die letzten drei Tage hatten die Gaukler auf einem Hügel zwischen den Sümpfen gelagert. Ana wusste nicht, warum. Aber an diesem Morgen, als sie ihr Gesicht mit einem Öl aus Katzenblüten und Schilfdorn einrieb, um sich vor den Mücken zu schützen, hörte sie Daneel sagen: »Packt eure Sachen zusammen. Wir brechen auf, sobald alle fertig sind.«
»Wo gehen wir hin?«, fragte Fyramei, die Tänzerin. Neben ihrem Zelt lagen getrocknete Fische auf Schilfblättern. Jede Nacht sah Ana grünblättrige Männer durch den Eingang kriechen.
Daneel grinste. »Wir gehen uns ein Wunder ansehen.« Er drehte sich im Kreis, sodass alle ihn hören konnten. »Zan Phirku, der Herrscher des Sumpflandes, hat uns in seine unvergleichliche Stadt eingeladen. Wir werden vor ihm in seinem Palast auftreten.«
Die Gaukler klatschten in die Hände, ein paar von ihnen jubelten. Keiner schien sich zu fragen, wann und wie diese Einladung ausgesprochen worden war. Ana hatte keinen Boten gesehen, und Daneel hatte das Lager kaum verlassen. Trotzdem bezweifelte sie nicht, dass sie vor dem Herrscher auftreten würden. Daneel würde dafür sorgen.
»Was ist los?«, fragte Jonan. Er hatte das Zelt verlassen und streckte sich. Ana hatte ihn schon mehrmals gebeten, nachts zu schlafen, wenn auch sie schlief, aber er lehnte das immer wieder ab. Er legte sich erst hin, wenn sie erwacht war, und bat sie stets, in Rufweite zu bleiben, damit sie ihn wecken konnte, sollte es nötig sein. Sie vermutete, dass es ihm in Wirklichkeit unangenehm war, da sie in dem kleinen Zelt nebeneinander hätten liegen müssen.
»Daneel bringt uns nach Tu-Rhe, damit wir vor Zan Phirku …« Ana unterbrach sich. Die Erinnerung an einen alten, weißhaarigen Mann in einer Robe aus getrockneten Blüten und Krokodilshaut stand plötzlich in ihrem Geist. »Ich kenne ihn.«
»Was?« Jonan sprach leise. Seine Blicke suchten Daneel.
»Er hat Somerstorm vor ein paar Jahren besucht, ich weiß nicht, aus welchem Anlass. Aber ich kann mich daran erinnern, weil er so seltsam war. Niemand außer den Priestern, die ihn begleiteten, durfte mit ihm sprechen.«
»Glaubst du, er würde dich erkennen?«
Ana neigte den Kopf. »Vielleicht.«
»Und würde er uns helfen?«
In einem anderen Leben, einem, das einen Sommer zurücklag, hätte sie über die Frage gelacht. Natürlich, hätte sie geantwortet.
Wer würde nicht alles tun für die Gelegenheit, der Tochter des Fürsten von Somerstorm helfen zu dürfen?
Doch diese Gewissheit war längst vergangen. An ihre Stelle waren Unsicherheit und Zweifel getreten.
»Vielleicht«, sagte sie.
Jonans Blick verriet, wie unzufrieden er mit dieser Antwort war, aber sie hatte keine andere. Er drehte sich um und begann das Zelt abzubauen.
Gegen Mittag brachen sie schließlich auf. Daneel ritt auf seinem Esel vor den Gauklern in ihren Karren her. Ana und Jonan gingen
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