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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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er Rickard gegeben hatte. Dann nickte er.
    »Ich würde das sehr gern wissen.«

 
    Kapitel 19
     
    Die Somer behandeln ihre Toten beinahe noch absonderlicher als die Lebenden. Da der Boden fast ganzjährig gefroren ist, werden sie nicht begraben; da man den Himmel und die Götter fürchtet, werden sie auch nicht aufgebahrt, wie es bei den Zekrymern der Eiswüsten üblich ist. Stattdessen legt man sie mit dem Gesicht nach unten und mit Steinen beschwert in Höhlen oder Talsenken, damit die Seele in die Erde zurückkehren kann, so wie ein Stein durch Wasser sinkt, bis er den Grund erreicht. Der Reisende, der einen solchen Toten findet, sei davor gewarnt, ihn aus Neugier oder ehrlicher Besorgnis umzudrehen, würde er ihn doch damit zu einem Dasein als Geist verdammen, stets unter den Lebenden weilend, doch unsichtbar für deren Blicke und stumm für deren Ohren.
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 2
     
     
    Am frühen Morgen, als alle noch schliefen, hockte Gerit in den Geheimgängen hinter den Wänden und sortierte die Listen, die er angefertigt hatte. Um sich herum hatte er Pergamentfetzen ausgebreitet. Zahlen standen darauf, kurze Sätze und Notizen, an deren Sinn er sich kaum noch erinnern konnte. Im Licht einer einzelnen Kerze versuchte er sie zu entziffern.
    Er hatte viel über die Nachtschatten herausgefunden, auch wenn nur wenig von Bedeutung zu sein schien. Er wusste, dass sie keine kleinen Räume mochten und keine Möbel, dass sie, unmittelbar bevor sie sich verwandelten, nach Essig rochen und noch einige Stunden danach. Sie schienen zu glauben, dass ihre zunehmende Stärke mit der Luft zusammenhing, denn gelegentlich sprach einer von einem Knistern wie vor einem Gewitter. Doch all das würde einem Feldherrn im Kampf gegen die Nachtschatten nicht helfen, so viel war Gerit klar.
    Er hielt einige kleine Zettel ins Kerzenlicht. Die Zahlen, die er von Korvellan abgeschrieben hatte, standen darauf. Er hatte sie so oft betrachtet, dass er sie längst auswendig konnte. Zu klein für Truppenstärken, hatte er entschieden, aber zu groß für Kartenkoordinaten. Sie ergaben keinen Sinn, egal wie lange er darauf starrte.
    Es klopfte an der Tür, die den Geheimgang von der Backstube trennte.
    »Gerit?«, hörte er Mamee fragen.
    »Ich komme.« Hastig legte er die Pergamentfetzen in einen Hohlraum in der Wand und schob einen Stein davor. Die Nachtschatten wussten, dass er sich in die Gänge zurückzog, wenn er allein sein wollte. Sie respektierten das.
    Er zog die Tür auf und zwängte sich hindurch. »Hat Korvellan nach mir gerufen?«
    Mamee nickte. Sie gehörte zu den Nachtschatten, die sich nicht mehr in einen Menschen zurückverwandelten. Dichtes, beinahe weißes Fell bedeckte ihren Körper. Ihre Schnauze war langgezogen, die Augen braun. Doch ebenso wie die meisten anderen Nachtschatten wirkte sie nicht wie ein Tier. Sie waren etwas Eigenes, etwas Fremdes.
    Gerit hatte längst vergessen, wie Mamee einmal ausgesehen hatte. Er zog ein Tablett aus dem Regal und gähnte.
    »Korvellan verlangt zu viel von dir«, sagte Mamee. »Er behandelt dich wie einen Diener.«
    Das soll er ja auch, dachte Gerit, während er Bier über dem Feuer erhitzte und frisches Obst hineinschnitt. »Ich weiß nun mal am besten, was er will.«
    Er hatte hart dafür gearbeitet. Wann immer er konnte, hatte er vor Korvellans oder Schwarzklaues Quartieren den Ruf »Mehr Wein« oder »Bringt Fleisch« abgewartet, nur um dann loszulaufen und den Wunsch zu erfüllen. Mittlerweile verlangte Korvellan nur noch nach ihm, wenn er etwas wollte, und selbst Schwarzklaue rief gelegentlich seinen Namen, ganz so, wie Gerit es gehofft hatte.
    Er schüttete das heiße Bier in einen Krug und nahm das Tablett. Mamee folgte ihm durch die Küche, wo die anderen Nachtschatten noch tief schliefen. »Dein Frühstück wird fertig sein, wenn du zurückkommst.«
    »Danke.« Ihre Aufmerksamkeit verwirrte Gerit. In der letzten Zeit fragte sie ihn häufig, ob sie etwas für ihn tun könne, oder bot an, mit ihm zu essen oder ihn bei seinen Besorgungen zu begleiten. Er wusste nicht, wieso sie das tat.
    Gerit stieß die Tür mit dem Fuß auf und ging über den Hof zum Haupteingang. Frühnebel hing über der Festung. Auf den Zinnen saßen einige Möwen, den Kopf unter ihren Flügeln verborgen. Die Tür zur Gerberei stand offen, aber Moksh war nicht zu sehen. Gerit atmete auf. Je seltener er den alten Mann sah, desto besser.
    Er ging durch

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