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Sturm

Sturm

Titel: Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Mauer, die anderen beiden neben dem geöffneten Tor. Ein Pferd trabte an ihnen vorbei. Schaum fiel in Flocken aus seinem Maul, die Läufe zitterten. Seine Augen waren weit aufgerissen, als wäre es auf der Flucht vor einem Raubtier. Im ersten Moment dachte Gerit, das Pferd sei allein in den Hof getrabt, doch dann drehte es sich, und er sah die Kreatur, die flach wie eine Eidechse auf seinem ungesattelten Rücken hockte. Sie war klein, nicht länger als der Pferderücken, und verwachsen. Die Schultern waren verwachsen, der Rücken bucklig, die Behaarung borstig und dünn. Weiße Haut schimmerte hindurch. Die Kreatur hatte seine Krallen in die Flanken des Pferdes geschlagen. Dunkle Blutspuren durchzogen das Fell. Mit den Zähnen zog sie an den Zügeln, bis das Pferd zum Stehen kam. Dann hob sie den Kopf.
    Gerit zuckte zusammen, als er die wässrig blauen Augen sah. Er erkannte den Zwerg sofort wieder, auch wenn er ihn nur ein einziges Mal in seiner menschlichen Gestalt gesehen hatte.
    »Grom«, sagte Korvellan neben ihm. Sein Tonfall war merkwürdig. Gerit war sich nicht sicher, ob er Abscheu oder Ärger darin hörte.
    Der General drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Seine Schritte hallten durch die Gänge, wurden leiser und verstummten. Gerits Blick fiel auf die Pergamentseiten, die er zurückgelassen hatte, sah die vertrauten Zahlen aus seinen Notizen durchgestrichen und durch andere, niedrigere, ersetzt. Er zögerte. Da war ein seltsam flaues Gefühl in seinem Magen, so als wäre er dabei, etwas Unrechtes zu tun.
    Die Nachtschatten haben meine Eltern ermordet, dachte er, verärgert über seine Weichheit. Es ist ehrenhaft, ihre Mörder zu hintergehen. Vorsichtig schob er die Seiten auseinander und entdeckte eine Skizze. Sie zeigte den Pass nach Braekor und den kleineren Weg, den Gerit verraten hatte. Daneben waren einige Worte gekritzelt worden. Holz, las er, Speere, Kleidung, Felle. Arbeiter!
    Er warf einen Blick aus dem Fenster. Der Sims war so breit, dass man ihn von unten nicht sehen konnte. Grom war bereits vom Pferd gesprungen und ging Korvellan entgegen, der gerade in den Hof trat.
    Gerit wandte sich wieder den Pergamenten zu, prägte sich die neuen Zahlen ein. Sie waren wesentlich kleiner als die alten. Er las die Worte neben den Skizzen ein drittes, dann ein viertes Mal, aber sie ergaben keinen Sinn. Vielleicht hatte Korvellan sie nur zufällig neben die Skizze gekritzelt, als ihm ein Gedanke kam.
    Durch den Spalt in den Mauern sah er, wie der General und der Zwerg miteinander sprachen. Grom redete, Korvellan hörte zu, sagte nur gelegentlich selbst etwas. Gerit betrachtete die letzte Seite. Sie lag unter den anderen und schien aus einer Art Tabelle zu bestehen. Er las Worte wie Reiterei, Fußvolk, Lanzenträger und sah die Zahlen, die Korvellan dahintergeschrieben hatte.
    Das kann nicht sein, dachte Gerit. Er zog die Seite aus dem Stapel heraus und hielt sie in den schmalen Lichtstreifen, der durch das Fenster drang. Die Zahlen blieben gleich.
    »Für dich wird es keine Gnade geben, Mortamer Korvellan«, flüsterte Gerit, »keine Gnade für euch alle.«
    Er sah aus dem Fenster. Korvellan und Grom waren nicht mehr zu sehen. Eine der Wachen führte das Pferd zu den Stallungen. Sein Hufschlag mischte sich in das Klatschen von Ledersohlen auf Stein und Stimmen, die durch die geöffnete Tür ins Zimmer drangen.
    Sie sind auf dem Weg hierher, dachte Gerit. Er ließ die Seite auf den Stapel fallen, erinnerte sich dann, dass er sie von unten herausgezogen hatte, und hob den Stapel hoch. Die Stimmen kamen näher. Er war so nervös, dass der Stapel ihm beinahe aus den Händen gerutscht wäre. Rasch legte er die Seite darunter und schob ihn zusammen.
    Korvellan durfte ihn nicht allein in seinen Quartieren finden, das wusste Gerit. Es war das einzige Verbot, das der General jemals ausgesprochen hatte.
    Er lief zur Tür, sah durch den Spalt zwischen Holz und Stein und zuckte zurück. Korvellan und Grom gingen bereits durch den Gang. Er konnte das Zimmer nicht mehr ungesehen verlassen. Sein Puls hämmerte in seinen Schläfen, sein Blick glitt über die karge Einrichtung, über die Felle, die Korvellan anstelle eines Bettes als Schlafstelle dienten, über einen Sessel, einen niedrigen Tisch, die Teppiche am Boden und blieb an dem einzigen Schrank im Zimmer hängen.
    Mit zwei Schritten hatte Gerit ihn erreicht. Er zog an dem hölzernen Griff, aber die Türen ließen sich nicht öffnen. Sie waren

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