Sturm
den Haupteingang, die Treppe hinauf und die Gänge entlang. Vor Korvellans Tür blieb er stehen. Einen Moment lauschte er, dann trat er ohne anzuklopfen ein, ganz so, wie es die Nachtschatten auch untereinander taten, wenn einer den anderen gerufen hatte.
»Dein Frühstück«, sagte er.
»Stell das Tablett auf den Tisch und gib mir das Bier.« Korvellan saß auf einem Sessel am Fensterspalt. Er hatte die Beine ausgestreckt und übereinandergeschlagen. Die Fersen seiner Stiefel lagen auf dem Sims. Gerit bemerkte den Staub auf dem dunklen Leder und hoffte, dass er daran denken würde, sie später zu putzen.
Er reichte Korvellan den Krug und sah zu, wie der Nachtschatten daraus trank. Ich könnte dich vergiften, wenn ich wollte, dachte er.
»Ich war zu lange Soldat, um den Morgen zu verschlafen«, sagte Korvellan. »Weißt du, was der Morgen für einen Soldaten bedeutet?«
»Nein.«
»Hoffnung.« Im ersten Moment glaubte Gerit, Korvellan wolle mit ihm anstoßen, erst dann erkannte er, dass er seine eigene Frage beantwortete.
»Hoffnung darauf, den Abend zu erleben, und Hoffnung darauf, dass die Pläne, die man in der Nacht geschmiedet hat, besser sind als die der anderen Seite.« Korvellan hob den Kopf. »Ich glaube, du denkst am Morgen das Gleiche wie ein Soldat.«
Gerits Herz schlug schneller. Er hatte geahnt, dass der General eines Tages sein Geheimnis entdecken würde. Die Ausreden und Erklärungen, die er sich für diesen Fall zurechtgelegt hatte, waren wie weggewischt. Nichts fiel ihm mehr ein.
»Du denkst, dass es zwei Seiten in dieser Festung gibt, dass du auf der einen und wir auf der anderen stehen.« Korvellan legte die Pergamente, die er in der Hand gehalten hatte, auf einen Tisch. Gerit zwang sich, nicht hinzusehen.
»Du denkst, dass wir dich nicht respektieren und nur auf einen Grund warten, dich zu töten. Deshalb arbeitest du so hart, nicht wahr? Du willst dich unentbehrlich machen, damit es für uns unbequemer wäre, dich zu töten, als dich am Leben zu lassen.« Er lächelte. »Das denkt zumindest Mamee.«
»Mamee?« Gerit wusste nicht, wovon Korvellan sprach. Was hatte sie damit zu tun?
»Sie war letzte Nacht bei mir, um sich für dich einzusetzen. Sie mag dich.«
Er weiß nichts, gar nichts. Die Erleichterung war wie ein Rausch. Sie musste sich wohl auch auf Gerits Gesicht abgezeichnet haben, denn Korvellans Lächeln wurde breiter. »Und wie es scheint, magst du sie auch ein wenig.«
Gerit bemühte sich, dem Gespräch zu folgen. »Sie macht ihre Arbeit gut.«
»Ich verstehe.« Der General reichte ihm den halbvollen Bierkrug. Seine Klauen kratzten über das Metall. »Setz dich und trink einen Schluck.«
Es gab keinen zweiten Sessel, also setzte sich Gerit auf einen Wandteppich. Fischer waren darauf abgebildet, die unter einem hellgrauen Himmel auf ausgehöhlten Baumstämmen standen und Netze auswarfen. Fische sprangen ihnen entgegen. Im Hintergrund sah man die Segel eines großen Schiffs. Gerit bemerkte, dass er inmitten des aufgewühlten Meers saß.
Korvellan räusperte sich. »Mamee ist mit Schwarzklaue aus dem Norden hierhergekommen«, sagte er. »Sie hat nie viel mit Menschen zu tun gehabt, aber ich habe ihr versichert, dass ihr genauso ausseht wie wir. Verstehst du?«
»Nein.« Gerit setzte den Krug an. Das Bier prickelte auf seiner Zunge.
»Warst du je mit einem Mädchen zusammen?«
Gerit verschluckte sich fast. Er setzte den Krug ab. Warmes Bier schwappte über seine Finger und tropfte ins Meer. Das Gespräch ergab auf einmal Sinn, viel zu viel Sinn. Gerit spürte, wie sich seine Wangen röteten und ihm warm wurde.
»Ich …« Gerit stockte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Korvellan nickte. »Über so etwas sollte ein Junge mit seinem Vater sprechen, aber wir beide wissen, dass das nicht möglich ist. Ich möchte nur, dass du weißt, dass niemand daran Anstoß nehmen wird, wenn du und Mamee …« Er machte eine vage Handbewegung. »Und wenn du Fragen hast, dann …«
Der tiefe Laut zweier Hörner unterbrach ihn. Korvellan nahm die Füße vom Sims und stand auf. Er schien beinahe so erleichtert zu sein wie Gerit.
»Jemand kommt«, sagte er. Sein Blick richtete sich durch den Fensterspalt auf den Hof und das Haupttor. Gerit stand ebenfalls auf. Überrascht bemerkte er, dass er sich nicht mehr auf die Zehenspitzen stellen musste, um aus dem Spalt zu sehen. Er musste gewachsen sein.
Außer den Wachen war niemand im Hof zu sehen. Zwei der vier Männer standen auf der
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