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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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würde er an einem unsichtbaren Seil eingeholt werden. Er war so darauf bedacht, was für einen Eindruck er vermittelte, dass er ruckartig stehen blieb, als sich der Tunnel vor ihm zu einem gewaltigen Raum öffnete. Seine Augen waren noch immer getrübt, aber aus dem Augenwinkel bemerkte er Bewegungen im matten Licht der Höhle. Er hörte, wie die Priesterin zu ihm aufschloss. Es wäre nicht klug, seinen Herold hinter sich zurückzulassen. Herold … bei diesem Namen musste er an Rojaks raue, pestschwere Stimme denken und ebenso an den letzten, geflüsterten Befehl des Zwielicht-Herolds: »Gib ihnen einen König.«
    Du hast Recht, Barde. Diese Leute wollen einen König haben – sie brauchen einen König –, aber nicht mich. Ich kann sie nur zu dem führen, der es wert ist, dass sie ihre Bande lösen. Ist das nicht ohnehin der Weg unseres Herrn? Einem Mann den Weg zu zeigen, damit er sich selbst dafür entscheidet?
    Eine große, natürliche Säule in der Mitte der Höhle war das Auffälligste. Aus den groben, ausladenden Seiten ragte glitzernder Quarz hervor, sie waren von langen, rostroten Striemen verunziert. Ein fleißiger Priester hatte Löcher in die Säule geschlagen oder gebohrt, in denen nun drei Meter lange Holzbalken steckten, die in alle Richtungen wiesen. An ihnen hingen flache Kohlebecken aus Messing, die gleichen wie am Höhleneingang, einst verziert, nun aber von den Jahren ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie die Priester, die sich um sie kümmerten. Das Summen leiser Gebete und die trübe Luft voller Weihrauch brachten weitere Erinnerungen an seinen Vater mit sich, an die langen Tage und Nächte des Gebets, nach denen er erschöpft und ausgelaugt heimgekehrt war.
    Die Höhle erstreckte sich von Venns Blickpunkt aus zweihundert Schritt von links nach rechts. Am breitesten Punkt, unmittelbar vor Venn, waren es fünfzig Schritt bis zu den zwölf offenen
Kapellen, die man in die Wand eingelassen hatte. Sie waren den Göttern des Höheren Kreises geweiht, aber neben diesen gab es noch zahlreiche andere Schreine. Die heiligen Worte seines Volkes bestimmten das Bild am einen Ende der Höhle: in den Fels geschnittene Buchstaben, jeder so lang wie sein Unterarm und so genau ausgeführt, dass nur Magie dahinterstecken konnte.
    Sogar wenn er ihnen den Rücken zuwandte, konnte er sie spüren. Ihr Erscheinen hatte das Ende des dunklen Zeitalters verkündet, die Wiederkehr der Götter in das Land und zu ihren sterblichen Dienern. Ihre Botschaft hatte die Harlekin-Clans versklavt und an diese eisigen Berge gebunden. Er widerstand dem Verlangen, sich umzudrehen und sie anzusehen. Seine Aufgabe führte ihn zuerst an einen anderen Ort.
    Am Fuß der Säule befand sich der kleinste und einfachste Schrein in der Höhle, wenig mehr als ein Rinnsal, das aus einem natürlichen Kanal lief und sich in einer Mulde sammelte. Die Innenseite der Höhlung war mit einer eisartigen Schicht bedeckt, die ein schwaches, weißes Leuchten abgab. In den Rand eingekerbte Tiersymbole standen für die Götter des Höheren Kreises.
    Die Priesterin trat, wie er hörte, mit zögernden Schritten näher. Vielleicht überlegte sie, ob sie seinen Arm ergreifen, ihn vielleicht sogar am Ellbogen führen sollte. Er wartete nicht darauf, dass sie eine Entscheidung traf, sondern schlurfte weiter, die Stufen zu dem kleinen Schrein hinab. Jeder Besucher der Höhle nahm einen fingerhutgroßen Messingbecher und trank von dem eiskalten Wasser. Die Legende besagte, dass es von den Göttern gesegnet sei und die Quelle ihrer bemerkenswerten Talente war. Doch es hatte bei den Clans nie einen Magier gegeben, und so war sich niemand sicher.
    Venn jedoch wusste es. Durch seinen Aufenthalt draußen im Land hatte er viel darüber gelernt, wie die Dinge abliefen, und es gab keinen Zweifel an dem, was hinter den Fähigkeiten seines
Volkes steckte. Und doch stockte ihm der Atem, als er sich vor das Becken kniete. Mit großen Gesten nahm er den Becher und trank. Seine Kehle kribbelte, so kalt lief das Wasser darin hinab, und er murmelte ein Gebet, das er seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Dieses Gebet schmeckte zwar bitter, aber er wusste, dass Dohle die Zeit brauchte.
    »Er ist hier. « Die Worte waren wie ein leises Flüstern in seinem Ohr. Dohle klang außer Atem, aber Venn wusste nicht zu sagen, ob der Mann nur von der Anstrengung des Zaubers erschöpft war, oder ob es eher daher rührte, dass er sich in einen Schatten verwandelt hatte. »Ich brauche nur

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