Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
Vom Netzwerk:
ihr hinablief. Im Weißen Palast von Narkang herrschte jetzt Kälte. Der Herbst war schließlich doch in den Winter übergegangen, und sie war froh um das dicke Schultertuch, das ihr König Emin vor einigen Jahren geschenkt hatte. Es schützte sie vor der kalten Nachtluft, die vom Meer herüberwehte.
    Oterness rang sich ein Lächeln ab. Das Tuch war ein Geschenk ganz nach Art ihres Mannes. Es war lang genug, um sich darin
einzuwickeln und sie warm zu halten und wies auch ein wunderschönes Muster auf … sie hatte diesen Stil vorher noch nie gesehen, aber Emin sagte, er sei in Aroth gebräuchlich, der Gegend, aus der ihre Familie vor zwei oder drei Jahrhunderten gekommen war. Doch Emins eigentliches Geschenk waren nicht die Mondsteine und Topaze gewesen, mit denen die Lilien und Kolibris verziert waren, sondern das ebenso geschmückte, darin verborgene Messer, das gegen ihren dicken Bauch drückte, wann immer sie das Tuch richtete.
    Trotzdem war es ein beruhigendes Gefühl, denn die Waffe würde sie schützen, falls sich jemand in einem besonders verletzlichen Moment auf sie stürzen wollte. Dieser Gedanke ließ Oterness erschaudern, schützend legte sie die Hand auf den Bauch, auf die Narben in der Haut. Für den Fall, dass dies erneut geschehen würde.
    Ursprünglich hatte sie Emin nur dadurch genutzt, dass sie die hohe Gesellschaft des Reichs beeinflussen konnte – und das hatte sie jahrzehntelang auch sehr geschickt getan. Ein grimmiges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Die plappernden Matronen aus Narkangs hochwohlgeborenen Familien würden staunen, was geschähe, sollte jetzt ein Mann ihre aristokratische Königin angreifen. Seit Ilumenes Verrat hatte ihr der in ihren Bauch geschnittene Name eine schreckliche Entschlossenheit beschert, und sie hatte schnell und von den besten Mitgliedern der Bruderschaft gelernt.
    Ihr Magen zog sich erneut zusammen, vertrieb alle Gedanken an einen Kampf und erinnerte sie daran, warum sie hier mitten in der Nacht eigentlich herumschlich. Kaum dass sie sich schlafen legte, suchten sie jeden Abend Magenschmerzen heim, und sobald diese sich legten, machte sich ihre Blase bemerkbar. Sie versuchte sich nicht davon ablenken zu lassen, denn auch die Morgenübelkeit, von der sie gedacht hatte, sie währe ewig, war
jetzt nicht mehr als eine ferne Erinnerung. Mit Magenschmerzen wurde sie fertig, dafür hatte sie Kräuter, die den Magen beruhigten, und mittlerweile genoss sie ihre einsamen nächtlichen Spaziergänge sogar. Als sich Oterness aus dem Bett gekämpft hatte, hatte Jorinn, ihre Zofe, die Augen geöffnet, auf die Aufforderung gewartet, ihr zu helfen, und sich, als diese nicht erfolgte, wieder ins Bett gekuschelt.
    Ihr Götter, ich hätte nicht erwartet, dass ich einmal so watscheln würde , dachte Oterness mit einem spöttischen Lächeln. Ich komme mir wie ein Nilpferd vor. Und wenn ich nicht wie ein betrunkener Matrose umherwanke, schwitze ich wie ein Pferd, so wie Emins Onkel. Und, bei Kitars knirschenden Zähnen, wo kommen nur all diese Darmwinde her? Ich könnte jeden Soldaten der Königsgarde im Furzwettbewerb besiegen, nur leider finde ich das nicht annähernd so lustig wie sie. Aber natürlich furzt eine Königin niemals  …
    Sie war nur noch wenige Schritte von der Tür zu ihrem Arbeitszimmer entfernt, als sie ein entferntes Geräusch durch den unablässigen Regen hindurch hörte: das Krachen des Haupttores und das Donnern von Hufen. Ein dumpfes Läuten zerriss die Nacht und kündigte heimkommende Majestäten an.
    »Nun, ich bin schon hier, dann muss es also wohl endlich mein lieber Gatte sein«, murmelte sie, drehte sich umständlich und machte sich auf den Weg zurück zum Schlafzimmer. Emin würde nach ihr sehen, sobald er abgesessen war. Dann wird wohl heute nichts mehr daraus zu schlafen.
    Als sie sich dem Bett näherte, blickte Jorinn wie eine Katze von ihrem Lager auf. Oterness hatte deutlich gemacht, dass sie nicht verhätschelt werden wollte, und Jorinn hatte ihre Herrin nicht in weniger als einer halben Stunde zurückerwartet.
    »Komm, Mädchen, auf die Beine und tummel dich«, sagte die Königin streng. »Unser Herr und Meister kehrt zurück. Fache das Feuer an, entzünde eine Lampe und gib dem Küchenpersonal
Bescheid – es klingt, als sei die gesammelte Bruderschaft ebenfalls wieder da.«
    Jorinn sprang auf, zog ihr Kleid über das Nachthemd und band sich auf dem Weg zum Kamin das Haar mit einem grünen Band zurück. Mit geübten Stößen aus einem

Weitere Kostenlose Bücher