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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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und warf – ausgerechnet sie! – jemandem, der von unten hochrief, einen Handkuss zu. Da draußen gab es nichts, was für eine Göttin von Belang wäre. Es war nur eine Nebenstraße in Münze, dem Viertel der Stadt, in dem alle Geldgeschäfte abgeschlossen wurden. Es gab hier keine Tempel – nicht einmal für Schicksal, die Göttin des Glücks mit den vielen Namen. Das
war der Grund dafür gewesen, dass Zhia Vukotic gerade hier ein Zimmer beziehen wollte.
    Oh, Pisse und Dämonen , dachte Legana. Hat das Glas jemanden getroffen? Rasch eilte sie zu ihrer Herrin auf den Balkon und reichte Schicksal, etwas zögerlich, ihren Wein.
    »Ah, danke.« Schicksal nippte mit einem Schmunzeln am Wein und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Nach einem Augenblick bedeutete sie Legana, sich auf den anderen zu setzen. Legana tat es auch und kam sich neben der Göttin, die sich so geschmeidig wie ein Seidentuch im Wind auf dem Stuhl niedergelassen hatte, ungelenk und grobschlächtig vor. »Ich glaube, du bist der Grund dafür, dass sich ein junger Mann auf der Straße einnässte«, sagte sie plötzlich. »Hat die Vampirin dich nicht aufgefordert, unauffällig zu bleiben?«
    Hol mich der Dunkle Ort, sie ist wegen Zhia hier , dachte Legana voller böser Vorahnung. Ich bin tot … tot und verdammt .
    »Sie, äh, ich …« Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, als Schicksal eine wegwerfende Handbewegung machte, und Leganas ganzer Körper erstarrte, ganz wie bei einem Hund, der auf einen Befehl seiner Herrin hört.
    »Ich bin nicht wegen der Vampirin hier, nicht grundsätzlich jedenfalls«, sagte sie nach einer Weile.
    »Warum dann?« Legana versuchte, sich ihre Neugier und Angst nicht anmerken zulassen.
    Die Göttin lachte sanft, was eisige Schauder über Leganas Rücken wandern ließ. »Ich bin hier, um das zu tun, was ich am besten kann: dich vor eine Wahl zu stellen.«
    »Eine Wahl? Mich?« Leganas überraschter Blick amüsierte Schicksal umso mehr. »Warum? Vor welche Wahl solltet Ihr mich stellen? Ich bin eine Anhängerin Eurer Kirche, ich gehorche Euren Befehlen.«
    »Ach, komm schon, du warst nie eine sonderlich fromme
Frau, oder? Ich glaube nicht, dass eine göttliche Offenbarung angebracht wäre.«
    In Schicksals Stimme lag kein Zorn, trotzdem erzitterte Legana und musste gegen den Drang ankämpfen, sich auf die Knie zu werfen. Sie wusste, dass Götter diese Wirkung auf Sterbliche haben sollten, aber es am eigenen Leib zu erfahren, war sehr verstörend. Es gab nicht viel im Land, vor dem sie Angst hatte, und sie war zu einer der besten Meuchlerinnen ausgebildet worden. Dennoch reichte der kleinste Hauch eines Lächelns ihrer Herrin, damit es ihr kalt den Rücken hinunterlief.
    »Ich befürchte, ich verstehe nicht ganz, meine Dame.«
    »Ich habe einen Auftrag für dich, das stimmt schon, aber zuerst habe ich noch einen Vorschlag zu unterbreiten.« Die Dame lehnte sich mit einem Mal vor, und Legana zuckte unwillkürlich zusammen. Dann nahm sie der Blick dieser erstaunlich grünen Augen Schicksals wieder gefangen.
    Sie erinnerten sie an einen Freund, der einmal Würfel gewonnen hatte, auf denen die Augenzahlen von Smaragden gebildet wurden. Eine Woche später bot er ihr all das gewonnene Geld, allein dafür, dass sie ihm die Würfel abnehmen möge. Nur wenige Sterbliche überlebten ein solches Glück lange.
    »Du warst in Scree, hast gesehen, was dort geschah.«
    »Ich habe es gesehen, aber ich habe es nicht verstanden«, gab Legana zu und hielt dem Blick der Dame nicht länger stand, auch wenn ihre Augen trotzdem immer wieder davon angezogen wurden.
    »Die Götter wurden für eine Zeit aus der Stadt vertrieben. Die Einwohner wandten sich gegen uns.« Schicksal flüsterte – und jetzt war jede Spur eines Lächelns von ihrem Gesicht verschwunden. »Wir wissen, dass es nie dafür gedacht war, lange anzuhalten. Aber der Vorfall beunruhigt uns, sagen wir es mal so.«
    »Und der Eifer?«, fragte Legana vorsichtig, denn sie wusste
nicht, wie die Göttin auf diese Frage reagieren würde. »Ich habe gehört, dass einst sanfte Priester jetzt Feuer und Schwefel predigen, dass manche davon auch schon zu Gewalttaten getrieben wurden.«
    »Ich bin in dieser Sache zurückhaltend«, sagte die Dame mit einem scharfen Blick. »Aber andere sind zum ersten Mal seit den Tagen des Großen Krieges über die Maßen erzürnt. Einigen Angehörigen des Höheren Kreises wurde Schaden zugefügt, und sie drängen auf Rache.«
    Legana erschauderte.

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