Sturmauge
»Dies ist nichts, was man leichtfertig tun sollte, und ich möchte mich nicht an jemanden binden, der es nicht wirklich will.«
»Ich bin sicher«, sagte Legana und blickte der Göttin direkt in die Augen, denn ihre Angst war verschwunden. »Nur in Eurem Tempel hatte ich jemals den Eindruck, ich würde dazugehören – etwaige Mängel an Frömmigkeit erwuchsen bloß aus dem Gefühl, dass ich unwichtig, Eurer nicht würdig sei. Ich werde mein Volk oder meinen Lord nicht hintergehen, aber ich wünsche mir mehr zu sein als die Spionin eines Mannes, den ich kaum kenne.
Ich nehme also Euer Geschenk an und zahle den Preis, den es verlangt.«
Schicksal musterte die junge Frau und dann lächelte sie plötzlich strahlend. »Ich habe eine gute Wahl getroffen. Also, hör mir zu, bevor du die Kette umlegst, denn ich nehme an, dass mich das plötzliche Gefühl von Sterblichkeit wohl sehr mitnehmen wird, und ich mich in den Palast der Götter zurückziehen muss, um mich zu erholen.«
Legana nickte eilfertig, in ihren Augen glitzerte Ungeduld.
»Du wirst dich nicht länger mit Nekromanten und Vampiren abgeben können. Kümmere dich um deine augenblicklichen Gefährten und ziehe dann in meinen Tempel in Hale. Dort kannst du leben. Zhia Vukotic wird dir dorthin nicht folgen.«
Legana nickte erneut, ihre Augen zuckten zu den am Boden liegenden Waffen. Weder Mikiss, der Vampir, der nebenan schlief, noch Nai, der Nekromant, den sie zuletzt in der Nacht zuvor getroffen hatte, würden leicht zu töten sein, aber mit der Macht einer Göttin gab es wohl nichts, was sie nicht schaffen konnte.
Die Dame hatte Leganas Blick zu den Waffen bemerkt. »Gut. Töte sie beide, und dann kümmere dich um die Stimmen in dieser Stadt. Sie ist der wichtigste Treffpunkt des Westens, doch um gegen das zu bestehen, was kommen wird, müssen ihre Viertel geeint werden … und glaube mir, die Kreuzung des Westens muss überleben.«
Die Dame sprach jetzt schnell und reichte Legana die Kette.
Diese ließ die Finger über die Smaragde gleiten, ohne jedoch den Blick vom Gesicht der Dame abzuwenden.
»Ich schlage vor, du beginnst deine Arbeit damit, den Hohepriester Alterrs hier in Byora zu töten. Er ist ein armseliger kleiner Wicht, der auf den Namen Ayarl Lier hört.«
Legana riss die Augen auf. Die Götter wenden sich gegeneinander?
»Wir waren nie sonderlich harmonische Wesenheiten«, sagte die Dame lächelnd und erriet damit, was Legana gedacht hatte.
»Alterr ist eine von denen, deren Zorn ungezügelt wütet. Sie wird uns zu unbesonnen Taten zwingen, wenn ihrer Stärke keine Schranken gesetzt werden, und Lier verfügt über großen Einfluss, sowohl am Hof von Natai Escral als auch beim einfachen Volk von Hale. Es wird das Beste sein, diesen Einfluss zu entfernen. Und außerdem«, setzte sie mit einem frechen Lächeln hinzu, als schlüge sie nicht mehr als einen harmlosen Scherz vor, »gehört Alterr zum Höheren Kreis des Pantheons – und ich nicht. Ehrgeiz ist nicht nur bei Sterblichen verbreitet.«
Venn öffnete langsam die Augen und unterdrückte im schmerzhaft hellen Licht ein Stöhnen, während er sich auf die Gestalten konzentrierte, die neben ihm saßen. Sie alle waren jung, man erkannte sie an ihrer Haltung unzweifelhaft als Harlekine. Sie trugen Felle und Leder, die grobe Kleidung der Clans, nicht das auffällige Muster der Harlekine. Dies war also noch nicht ihr letzter Besuch in der Höhle, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis diese neue Ernte ihre Klingen ausgehändigt bekäme und ins Land hinausgeschickt wurde.
Und sie haben auf mich gewartet , dachte Venn zufrieden. Wie es scheint, ist meine unlängst aufgetauchte Schwäche nur ein weiteres Zeichen meines göttlichen Auftrages.
Es hatte noch nie einen Harlekin gegeben, der sich nach Jahren draußen im Land von den alten Wegen abgewandt hätte – diejenigen, für die er ein Verräter war, wussten darum nicht, was sie mit ihm tun sollten, und die Leute aus den Clans betrachteten ihn in zunehmenden Maße als den Mann, der sich über die althergebrachte Art zu leben erhoben hatte. Das Land hatte den besten der Harlekine verwandelt und zu ihnen zurückgeschickt, damit er sie in die Zukunft führte. Seine fremdartige Präsenz, die
Dohle geschuldet war, stellte sicher, dass Beschwerden oder Vorwürfe nur im Geheimen geäußert wurden. Er hatte nichts von ihnen verlangt und sich keiner Ketzerei schuldig gemacht. Bis dies geschah, schützte ihn ihre eigene
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