Sturmbote
ist.«
»Du bist erwachsen geworden«, sagte Tila und drückte seine Hand liebevoll. »Ich habe herausgefunden, dass man wie ein Kind denken muss, wenn man als Soldat überleben will. Wenn man alles mit den Augen eines Erwachsenen sehen würde, könnte man es nicht ertragen.«
Vesna warf ihr einen zärtlichen Blick zu. »Vielleicht hast du recht. In Tor Milist sagte mir ein Sergeant, ich würde zu viel nachdenken. Sowas kann einen leicht das Leben kosten, aber meine Gedanken kreisten nur um dich. Was für ein undankbarer Ort, um zu sterben, noch dazu für die Sache eines Mannes, den ich mit Freuden töten würde. All die Männer, die dort fielen … zum ersten Mal empfinde ich deswegen Schuld. Ich habe sie da hineingezogen, obwohl es unnötig gewesen ist.« Er zögerte und flüsterte dann: »Wie armselig es gewesen wäre, dich dafür zu verlieren.«
»Denk so etwas nicht«, sagte Tila. »Deine Pflicht brachte dich dorthin. Ich stimme Lord Isak vielleicht nicht zu, aber er tut, was er als das Beste für den Stamm erachtet, und diese Entscheidung muss er treffen. Wir müssen unserem Lord gehorchen.«
Trotz der Verzweiflung, die sich seiner bemächtigt hatte, musste Vasna bei Tilas Ausbruch schmunzeln. Er vergaß immer wieder, dass zwischen ihnen zwanzig Jahre lagen. Und solche Kleinigkeiten erinnerten ihn dann wieder daran. Dann lasteten diese Jahre umso schwerer auf seinen Schultern, auch wenn Tilas fröhliches Lächeln ihn aufmunterte.
»Ja, wir werden seinen Willen ausführen, auch wenn er fast noch ein Kind ist, und du ebenfalls. Ihr Götter, noch einmal so jung zu sein.« Er wies auf die große Kastanie im Garten. »Die erinnert mich an meine Jugend. Vor der Burg Narole stand ein solcher Baum und immer, wenn ich etwas falsch gemacht hatte, bin ich hinaufgeklettert.« Vesna lachte unvermittelt auf. »Das geschah so oft, dass mein Vater damit drohte, das verdammte Ding zu fällen.«
»Und hat er es getan?«
»Nein, es war eine leere Drohung. Schließlich hatte er in seiner Jugend genau das Gleiche gemacht.« Er schüttelte den Kopf. »In letzter Zeit vermisse ich unser Haus, obwohl ich es seit Jahren nicht mehr gesehen habe.«
»Was ist passiert?«, fragte Tila. »Es ist doch der Stammsitz deiner Familie?«
Vesna zuckte müde die Achseln. »Ich habe die Schulden meines Vaters geerbt. Er war ein guter Vater, aber ein miserabler Verwalter der Ländereien. Ich habe selbst dann noch mehr Schulden gemacht, als er schon gestorben war. Dabei habe ich den Ort geliebt, als ich klein war. Es gibt in Anvee wunderschöne Flecken, deshalb ziehen auch viele alte Soldaten dorthin, wenn sie in den Ruhestand gehen. Natürlich müssen sie noch immer essen, und darum bilden sie Jungen wie mich aus, deren Eltern sichergehen wollen, dass sie ihren ersten Kampf überstehen. Erst jetzt erkenne ich, dass die alten Recken dort etwas Bleibendes fanden. Als ich ein Junge war, habe ich immer nur daran gedacht, wie ich in die Stadt gelangen und dem Heer beitreten könnte.«
»Also musstest du dein Haus verkaufen?«
»Sozusagen. Der örtliche Magistrat war ein alter Freund meines Vaters, der einen Händler auftrieb, der Gefallen daran fand, in einem Heim mit Vergangenheit zu leben. Der Händler war ein guter Mann. Er zahlte mir einen guten Preis und versprach, dass ich mein Haus zurückbekommen würde, wenn ich das Geld mit erstaunlich bescheidenen Zinsen zurückzahlen könnte.«
»Aber das hast du nicht getan?«
Er errötete bei dieser Frage vor Scham. »Irgendwie habe ich es nie geschafft, Geld anzusparen. Zum einen musste ich viele Schulden abbezahlen und zudem hatte ich eine Elfenklinge von meinem Vater geerbt und war der beste Schüler meines Schwertmeisters. Darum beschloss ich, dass es mir mein Haus nicht zurückbringen würde, immer nur Schulden abzubezahlen. Also gab ich bei der Magierakademie meine Rüstung in Auftrag und wollte stattdessen Ehre auf dem Schlachtfeld erringen. Vom Handeln verstehe ich nichts, woher hätte das Geld also kommen sollen?«
»Und das Geld, das du auf dem Feld verdient hast, floss in die Zinsen der übrigen Schulden?«, vollendete Tila die Geschichte für ihn. Er war nicht der Einzige mit einem solchen Schicksal. Schulden konnten weiterverkauft oder vererbt werden. Es war ein grausames System, denn schon eine einzige nicht erfolgte Zahlung, sei es aus einer Krankheit oder einer anderen Notlage heraus, konnte den Absturz in die Armut bedeuten. Nur wenige, die einmal in diese Falle gegangen
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