Sturmbote
Geschmack der Magie in seinem Kopf war er trunken.
»Mein Lord«, rief Graf Vesna, als er Isak taumeln sah. Er kam zu ihm gerannt und stützte ihn.
Isak blickte seinem Freund benommen ins Gesicht. Vesna hatte den Helm abgenommen und Isak konnte die Spuren von Tränen auf seinem Gesicht erkennen. Warum hatte er geweint? Vor Angst? Erschöpfung? Oder aus Trauer um den Verlust des Mannes, der er einst gewesen war …
Und doch kommt er sofort zu dir gelaufen, und doch ist er da, um dich zu stützen, bevor du fällst, dieser Mann, der glaubt, dich enttäuscht zu haben . Er schüttelt eher seine eigenen Ängste ab, als dass er dich stürzen lässt, wer hat hier also wen als Freund enttäuscht?
»Haltet stand«, flüsterte Isak und stützte sich auf Vesnas Schulter, zwang seine Kraft zurück in seine Glieder. Vesna, der für ihn da war, ungeachtet seiner eigenen Probleme, wie so viele andere auch. Sie brauchten einen starken Lord, oder sie würden alle sterben.
Komm schon, du Mistkerl, hoch mit dir! , rief sich Isak innerlich zu. Steh auf und stell dich ihnen entgegen, oder es sterben nicht nur diese Männer hier. Was ist mit dem Rest der Truppen in der Stadt? Mit dem Rest der Farlan? Glaubst du, Azaer wird sich hiermit zufrieden geben? Nein, er wird weitermachen, bis auch Tilah ebenso zu Grunde gerichtet wurde wie Scree.
»Standhalten?«, fragte Vesna und blickte zu dem Keil hinüber, der von den übrig gebliebenen Soldaten gebildet wurde. Einige waren auf die Knie gesunken, keiner hatte mehr die Kraft zu sprechen. Jetzt erst sah er, dass die Männer zauderten, von der Angst vor dem Kommenden eher beherrscht als von ihrer Erschöpfung. Und sofort brüllte Vesna Befehle.
Isak sah sich um. Die Menschenmenge griff sie nun nicht mehr an und die erschöpften Truppen würden nicht mehr lange aushalten. Nur der Anblick der Schnitter, die unter den Leuten von Scree noch immer Unheil säten, hielt sie auf den Beinen. Doch auf Vesnas Befehle hin hoben sie den Kopf. Einige wurden wohl sicherer, und als die verbliebenen Unteroffiziere den Ruf aufnahmen, sah er, wie ihre Entschlossenheit zurückkehrte. Er
wusste, es war unerlässlich, dass sie die Stellung hielten, denn wenn sie flüchteten, würden sie die Schnitter ebenso abschlachten. Ihre einzige Chance lag daran, sich von der fliehenden Menge fernzuhalten und ruhig zu bleiben.
»Sie fliehen«, sagte Jachen betrübt. Seine Schwertspitze baumelte am schlaffen Arm bis auf den Boden. Er wirkte, als würde er in dieser Nacht nicht mehr die Kraft aufbringen können, die Klinge noch einmal zu führen. Isak wollte beten, dass keiner von ihnen dazu gezwungen war.
»Würdest du das nicht auch tun?«
»Sollten wir es nicht tun?«, fragte Jachen. »Die Aspekte Tods sind alle nicht für ihr Mitleid bekannt, aber diese …«
»Wenn ihr flieht, sterbt ihr«, sagte Isak bestimmt.
»Was sollen wir dann tun? Hier stehen bleiben und zusehen, wie wir abgeschlachtet werden?« Vesna war ebenso müde wie die anderen und brachte die Kraft zu einem vehementen Protest nicht mehr auf. Er klang niedergeschlagen, als wisse er, was das Schicksal für ihn bereithielt.
»Nicht, solange ich noch etwas dagegen tun kann.«
»Du kannst nicht gegen die Schnitter kämpfen.«
»Warum nicht?« Isak richtete sich auf und musste sich nicht mehr auf Vesnas Schulter abstützen. »Es gab da einmal einen Krieg, erinnerst du dich? Aryn Bwr bewies, dass Götter getötet werden können, und er gab dem Land die Mittel, es zu tun. Sie werden sich daran erinnern, sie haben in der Letzten Schlacht gekämpft.«
Die Männer hinter ihnen schnappten erschrocken nach Luft, und als Isak sich umdrehte, sah er den Soldaten auf sie zukommen, Schwert und Kopf gesenkt. Sein Gesicht wurde von einem Vorhang aus langen, grauen Haaren verdeckt, aber Isak sah trotzdem, dass der Aspekt die Mischung aus Farlan- und Geweihten-Soldaten aufmerksam musterte.
Der Aspekt trug eine Rüstung, die aus Flickwerk bestand. Nicht zueinander passende Stahlplatten und Kettenhemdstücke hingen an seiner ausgehungerten Gestalt. Sein Schwertarm – der linke, was Isak auffiel, weil die meisten linkshändigen Soldaten auf den rechten umgelernt wurden – war bis auf ein Stahlband um sein Handgelenk nackt. Die Haut des Soldaten war leichenblass und so zerstört wie die eines Opfers der Königin des Verfalls. Er wirkte kaum stark genug, um das lange, doppelseitig geflammte Schwert zu führen, mit dem er an dem Gemetzel der Menge teilgenommen
Weitere Kostenlose Bücher