Sturmbote
viel Zeit damit, die armen Menschen zu behandeln, die unter Lepra leiden. Er nimmt sich sogar der unangenehmsten Aufgaben an.«
»Lepra?«, rief Isak mit schreckensgeweiteten Augen.
Der Abt kicherte. »Nur die Ruhe, mein Lord. Wir behandeln hier seit Jahrzehnten Lepra. Es gibt keine Ansteckungsgefahr. Bruder Helras leitet das Krankenhaus nun seit zehn Jahren und erfreut sich noch immer guter Gesundheit. Ihr seid sicher.«
»Wusste Bruder Hinkebein das, als er sich freiwillig für diese Pflichten gemeldet hat?«
Der Abt zögerte. »Ich bin nicht sicher … vielleicht. Und wenn nicht, so legt dies doch ein Zeugnis über das Gottvertrauen des Mannes ab, nicht wahr? Darf ich Euch nun die Abtei zeigen und Erfrischungen anbieten?«
»Die Folgen dieses Lebens«, murmelte Isak, allerdings zu leise, als dass jemand anders es hätte verstehen können. Er sagt mir, ich soll dankbar für das sein, was ich habe. Und doch füge ich bei jedem Schritt auf meinem Weg jemandem Leid zu. Und wenn ich erwache, bemerke ich die Leben kaum, die ich ruiniert habe. O Mihn, du hast solches Vertrauen in mich, aber welches großartige Schicksal kann man am Ende eines Weges finden, der mit zerbrochenen Leben gepflastert ist?
»Mein Lord?«
»O ja, natürlich. Geht voran«.
Der Abend fand Isak wieder im ummauerten Garten vor. Er starrte zum Jägermond hinauf, der seinen höchsten Punkt erreicht hatte. Die Erinnerung an Bruder Hinkebein, der sich mit der Krücke abmühte und düster zu Boden starrte, hatte ihn den ganzen Tag über verfolgt. Offensichtlich hatte der Mann Isak die Verletzung nicht verziehen, auch wenn er sie als göttliche Strafe betrachtete, und Isak konnte ihm dafür keinen Vorwurf machen. Andauernde Schmerzen und das Ende eines Lebens als Schwertmeister waren keine Dinge, die man leicht vergab – obwohl das Letztere die eigene Wahl des Mannes gewesen sein musste, wenn man seine Bekanntschaft mit dem Schwertmeister Kerin bedachte. Die Kriegshelden erhielten bei den Farlan Titel und Ruhm, und es gab ein Dutzend Männer, die als Champion der Geister einen Platz im Land gefunden hatten.
»Denkt Ihr über die Nichtigkeit des Seins nach, mein Lord?«
Isak drehte sich herum, wobei er Eolis zog, um die Quelle der unbekannten Stimme zu stellen. Die silberne Klinge leuchtete im Mondlicht, als der Mann kichernd aus dem Schatten trat. Er hob die Hände zu einem Farlangruß und beließ sein Schwert in der Rückenscheide.
»Wer könnte wohl mit solchen Gaben ein nichtiges Leben führen?«
»Wer seid Ihr?« Isak versuchte das Gesicht des Mannes zu erkennen. Er war kein Farlan. Mit hellem Haar und dunklerer Haut wirkte er eher wie jemand aus dem Westen. Seine Kleidung war dunkel, praktisch und erinnerte Isak an die Männer des Königs von Narkang. Nicht wirklich ein Soldat, und doch mehr als das.
»Ich bin Ilumene.« Ein Schweigen entspann sich nun. Dieser Mann stand dort mit der Andeutung eines spöttischen Lächelns auf den Lippen. Isak bekam das seltsame Gefühl, dass Ilumene nicht nur ein Mann des Königs war, sondern auch der Sohn König
Emins hätte sein können – was jedoch natürlich schon darum nicht möglich war, weil er etwa dreißig Sommer alt war und Königin Oterness, wie allgemein bekannt war, dem König bisher noch keinen Erben geschenkt hatte. Aber dieser Mann besaß die gleiche spöttische Überheblichkeit, die auch Emin eigen war.
»Für einen Mann, der sich offenbar gerne reden hört, seid Ihr plötzlich sehr still«, sagte Isak. »Wenn Ihr nicht durchbohrt werden wollt, solltet Ihr Euch ausführlicher erklären.«
Die Schärfe in Isaks grollender Stimme sorgte nur dafür, dass Ilumenes Lächeln noch breiter wurde. Der Mann trug zwei Narben auf der linken Seite des sonst attraktiven Gesichts. Eine durchschnitt die Wölbung seiner Augenbraue, die zweite zog sich gezackt über die Außenseite seiner Wange.
»Ich bin Teil der Bruderschaft.« Ilumene lachte leise und wandte den Kopf nach rechts, damit Isak seine Narben besser erkennen konnte. »Doch wie Ihr seht, haben mich meine Pflichten gezeichnet.« Sein Ohrläppchen, auf dem die Herzrune zu finden gewesen wäre, war von dem Schnitt abgetrennt worden. Als Ilumene auf sein Ohr wies, sah Isak ein Netz aus gezackten Narben auf seinen Händen, als sei der Mann durch einen Brombeerstrauch mit eisernen Dornen gezogen worden.
»Verwunderlich, dass Ihr Euch nicht gezeigt habt, als Morghien hier war.«
Einen Augenblick lang wirkte Ilumene aufrichtig
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