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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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beinahe romantisches Schlafzimmer.
    Mir drehte sich der Magen um. Der Nachhall verwehenden Schmerzes schwängerte die Luft. Ich roch Krankenhaus und Blut. Die Bilder friedvoll lächelnder indischer Gottheiten an den Wänden waren der pure Hohn.
    Ich hätte Aaron hassen sollen, doch das konnte ich nicht. Als er auf die schlafende Ruth hinabgeblickt hatte, die ins Gästezimmer verfrachtet worden war, hatte ich die Abscheu in seinen Augen gesehen. Eine tiefschürfende, zutiefst angeekelte Abscheu, die sich nicht nur gegen Ruth richtete, sondern im gleichen Maße gegen sich selbst.
    Aaron litt unter dem, was geschehen war, auch wenn diese Reue nicht alle Schuld begleichen konnte. Aber sie genügte, um mich nicht hassen zu lassen.
    „Nun, das ist schwierig zu sagen.“ Er setzte sich, zog die Tastatur zu sich und begann, darauf herumzuhacken. „Es gab einige Referenzwerte, die sich vom menschlichen Metabolismus unterschieden. Andersartigkeiten auf den ersten Blick, sozusagen, beruhend darauf, dass der Körper eines Selkies an ein anderes Leben angepasst ist. Er ist amphibisch, kann sowohl im Wasser als auch am Land leben. Möglicherweise haben sich beide Spezies parallel entwickelt, aus derselben Basis, wenn man so will. Aber um deine Frage korrekt beantworten zu können, müsste man eine halbe Ewigkeit mit Tests verbringen.“ Er räusperte sich.
    Eine Warnmeldung erschien auf dem Bildschirm.
    Soll der Ordner wirklich gelöscht werden ?
    Aaron drückte auf Ja .
    „Es wäre eine Forschungsaufgabe für Jahrzehnte. Würdest du alle Informationen des menschlichen Genoms vorlesen wollen, bräuchtest du über einhundert Jahre. Vorausgesetzt, du liest sieben Tage pro Woche und neun Stunden pro Tag. Immerhin reden wir hier von mehr als einer Milliarde Wörtern. Stell es dir so vor, dass das Genom eines Selkies wie eine andere Version dieses Buches ist. Dann begreifst du, wie viel Arbeit dahinterstecken würde, alle Unterschiede aufzuschlüsseln.“
    Arbeit? Mir kam vor Abscheu die Galle hoch, doch ich verschluckte meine Entgegnung. Ich stand hier, gekleidet in eines von Aarons weißen Hemden und in eine graue Jogginghose, die mir drei Nummern zu groß war, wartete darauf, dass mein Vater mich abholte, und versuchte zu begreifen, dass nichts so gekommen war, wie ich es erhofft hatte.
    Ich war allein. Wieder einmal. Ob Ruth überleben würde? Es sah ganz danach aus. Ihr Blick war leer gewesen, wie der einer Toten, aber die Vitalfunktionen völlig in Ordnung. Wenn sie aus ihrem Schlaf erwachte, musste Aaron entscheiden, ob er einen Arzt hinzuzog oder nicht.
    Was ist geschehen?
    Nun ja, ein Selkie hat ihre Seele in sich aufgesaugt. Oder zumindest einen Teil davon.
    Damit war die magische Geschichte also beendet. Louan hatte mich verlassen müssen und wollte mir die Freiheit lassen, ein Mensch zu bleiben.
    Er würde in der Wildheit des Meeres alles vergessen, ich würde mein Schuljahr beenden, den Abschluss machen und bis zur Rente in der Gärtnerei meines Vaters arbeiten.
    Ich würde nie wieder lieben.
    Nicht so, auf diese Weise.
    Es gab eine Stelle in meinem Herzen, die verschlossen und versiegelt war, weil sie allein einem Fabelwesen gehörte.
    „So, erledigt.“ Aaron fuhr den Computer herunter. „Sämtliche Daten sind gelöscht.“
    „Gibt es irgendwo Kopien?“
    „Nein. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Die einzige Kopie der Daten befand sich auf diesem USB-Stick, und den habe ich leer geräumt. Auf der Kamera ist ebenfalls alles gelöscht. Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen. Ich mache dir einen Kakao. Dein Dad dürfte in spätestens zwei Stunden hier sein.“
    Willenlos ließ ich mich von Aaron führen. Mein Körper fühlte sich taub an, als ich in einen der dunkelgrünen Sessel fiel. Man hatte mich in einen Kokon eingesponnen, der alles dämpfte. Selbst den Schmerz. Nur Sekunden schienen vergangen zu sein, als Aaron mit zwei dampfenden Tassen zurückkehrte. Er reichte mir eine, behielt die andere und schaltete den Fernseher an. Irgendwann tanzten bunte Menschen in fröhlicher Manier über eine üppig blühende Bergwiese.
    „Weißt du, warum ich diese Filme mag?“
    Ich wusste es, brachte aber nur ein Kopfschütteln zustande. Während ich den sahnigen, süßen Kakao trank, stellte ich mir vor, wie ein silbrig schimmernder Seehund durch die blaue Tiefe glitt. Ohne Erinnerung, glücklich und frei.
    „Die Liebe gewinnt immer“, sagte Aaron. „Das Gute trägt immer den Sieg davon. Egal wie steinig der Weg ist, er

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