Sturmherz
eine Hand auf die Brust des Jungen. Offenbar war er sich sicher gewesen, durch ihn hindurchzufassen, denn als er sah, dass nichts dergleichen geschah, zuckte er mit einem erstickten Ächzen zurück. Seine Augen nahmen die Größe von Suppentellern an. Er schwankte.
„Hör zu, Dad. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Es ist alles in Ordnung.“
„Er soll sich was anziehen. Jetzt! Sofort!“
„Ich suche ihm was raus.“ Behutsam lotste ich den Jungen an meinem Vater vorbei. Anstandslos ließ er sich ins Badezimmer führen, wobei sein Blick staunend umherschweifte. Für Mum war das Bad ein Tempel gewesen, genauso sah es auch aus. Die schwarze Eckbadewanne war von graublauem Marmor eingefasst. Die Schränke aus Bambus waren dunkelbraun, die Handtücher hellbraun. Es gab eine große Phönixpalme und mehrere Farne, die auf Holzregalen standen. Alles war vom Feinsten, denn als Mum noch hier gewohnt hatte, waren Geldsorgen dank ihrer erfolgreichen Tätigkeit als Ärztin kein Thema gewesen.
Ich wollte gerade hinausgehen und ein paar Sachen für meinen Gast zusammensuchen, als ich seinen begeisterten Ausruf hörte.
„Warmes Wasser!“
Der Junge stürzte zur Wanne hinüber und befühlte die messingfarbenen Hähne. „Gibt es hier warmes Wasser? Das kenne ich noch von früher. Ein großer Kasten heizt es auf, aber ich sehe hier keinen.“
Seine scheue Nervosität rührte mich.
„Natürlich gibt es hier warmes Wasser. Auch ohne großen Kasten.“
Begeistert deutete er auf die Wanne. „Kannst du welches da rein tun?“
„Sicher doch.“ Ich unterdrückte ein Grinsen, drehte an den Hähnen und mischte eine angenehme Temperatur ab, was er aus großen Augen beobachtete. Unauffällig wanderte mein Blick währenddessen seitwärts und blieb auf seinem nackten, wohlgeformten Schenkel ruhen, den das Fell nicht verhüllte. Ebenso wenig wie seinen Rücken und eine andere, bemerkenswert formharmonische Körperstelle.
Faszinierend.
„Darf ich?“, fragte er. „Ich habe das schon ewig nicht mehr gemacht.“
Ertappt klappte ich meinen offen stehenden Mund wieder zu. Der Junge schien nichts von meinem Gegaffe bemerkt zu haben oder schien sich entschieden zu haben, es zu ignorieren. Ungeduldig deutete er auf das einlaufende Wasser.
„Was hast schon ewig nicht mehr gemacht? Gebadet?“
„In einer Wanne. Ja.“
„Nur zu.“ Mein Kopf glühte. Praktischerweise konnte man das problemlos auf das gut beheizte Badezimmer schieben. „Soll ich solange rausgehen?“
„Nein. Warum?“
Ich hob nur die Schultern. Offenbar störte es ihn nicht, wenn ich ihm beim Bad Gesellschaft leistete. Sei es drum.
Achtlos warf er sein Fell auf den Boden und glitt nackt, wie die Natur ihn erschaffen hatte, in das dampfende Wasser. Ich schluckte ein paar Mal und war inständig bemüht, nicht auf eine gewisse Körperstelle zu starren. Stattdessen überspielte ich die peinliche Situation, indem ich das Fell aufhob, es zusammenlegte und auf dem Wannenrand positionierte. Fehlte nur noch, dass er mich dazu einlud, mit in die Wanne zu steigen.
Meinem Selkie entfloh ein genüsslicher Seufzer. Mit verklärtem Lächeln blickte er zu mir auf, sah mich so intensiv an, wie es niemand je zuvor getan hatte, und plötzlich malte ich mir aus, wie es wäre, mich neben die Wanne zu knien, sein Gesicht zwischen meine Hände zu nehmen und ihn zu küssen.
Grundgütiger, wo war mein Anstand, wenn ich ihn brauchte?
Ich kniff die Augen zusammen, und als ich sie wieder öffnete, geschah es. Mein Blick heftete sich zielgenau auf seine pikanteste Stelle.
Sehr interessant.
Abgesehen von seinem Kopf schienen nirgendwo Haare zu wachsen. Er war makellos glatt und blass. Alles an ihm.
„Gut so?“, krächzte ich und nestelte verlegen an meinen Haaren herum. „Willst du es wärmer? Oder kälter?“
„Perfekt“, schnurrte er.
Ihn anzustarren, glich einem unwiderstehlichen Drang. Ein nackter Fremder lag vor mir in der Wanne. Ein lebendes, mythologisches Wesen.
Wer wollte mir vorwerfen, dass ich keinen vernünftigen Gedanken fassen konnte?
„Noch etwas Badeschaum?“
„Nein.“ Er räkelte sich zufrieden. „Ich mag es so, wie es ist. Einfach nur warmes Wasser.“
„Wie du willst.“
Schaum wäre hilfreich gewesen, doch so musste ich andere Wege finden, mich abzulenken. Aus dem Wohnzimmer ertönte Beethovens Mondscheinsonate. Eines von Dads Lieblingsstücken.
Das er vermutlich gerade bitter nötig hatte.
Während ich im Schrank nach einem grobzinkigen
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