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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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trotzdem fast einem Herzinfarkt erlegen und hatte sich auf dem Weg zurück nach Westray in Rage geschimpft.
    Hat nackt über ihr gekauert, der Scheißkerl! Der wollte ihr was tun! Habe ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt, damit er den Schwanz einkneift wie ein Köter.
    Weder meine Beschwichtigungen noch Dads Beteuerungen, der Junge sei harmlos, waren von Erfolg gekrönt gewesen. Wäre es doch nur so wie in den Lügen. Ein Freund … ein gewöhnlicher Mensch. Ein Alt-Hippie als Vater. Alles ein bisschen skurril, aber normalsterblich.
    Zwitschernd hüpften die Gouldamadinen im Frangipangi-Busch umher, ohne mich aufheitern zu können. Zart duftete der Jasmintee, ohne den Keim der Kälte in meinem Inneren schmelzen zu können.
    Sonst fühlte ich mich wohl, wenn ich hier im Gewächshaus saß, umringt von exotischen Pflanzen und den Blick durch das Glas hindurch auf das Meer gerichtet. Aber jetzt schnürte die Schuld mir das Herz zusammen. Ich hatte ihm sein Fell gestohlen. Ich war eine Diebin. Im Nachhinein konnte ich mir nicht erklären, warum ich es getan hatte. Um ihn wiederzusehen? Um ihn zu zwingen, zu mir zu kommen? War ich so egoistisch?
    Ja , raunte eine böse Stimme in mir. Bist du!
    Wenn die Geschichten der Wahrheit entsprachen, musste er in Angst vergehen und mich hassen. Ich war ein Mensch, und Menschen bedeuteten für magische Wesen Gefahr. Ich hatte kein recht, in seine Welt einzudringen und ihm das zu stehlen, wovon sein Leben abhing. Dass ich es dennoch getan hatte, einfach aus einem inneren Drang heraus und ohne groß darüber nachzudenken, würde ich mir nie verzeihen können. Jetzt war es zu spät.
    Was, wenn er ohne Fell schwächer und schwächer wurde, weil eine Verwandlung unmöglich war?
    Selkies waren dem, der ihre Seehundhaut besaß, bedingungslos ausgeliefert. So beschrieb es jede Version der Legende. Was bedeuten musste, dass ihr Leben vom Fell abhing. Ich musste zurück nach Skara Brae, aber vor morgen früh würde ich an kein Boot herankommen.
    Mein Tee schmeckte plötzlich bitter. Ich stellte die Tasse neben meinem Sessel auf den Boden und blickte auf das Gemälde, das von zwei Phönixpalmen flankiert an der Wand neben mir hing. Eine Replik von Rubens Leda und der Schwan. Zärtlich schmiegte sich der Vogel an den nackten Leib der Frau, die Flügel halb ausgebreitet, seinen Schoß an den ihren gedrückt. Seidig wie die Federn eines Schwans fühlte sich auch das Fell an. Ich ließ es über meine Wange gleiten, dann über meinen Hals und die Arme. Vor meinem inneren Auge war er wieder bei mir. Aus schwarzen, unergründlichen Augen blickte er auf mich herab, faszinierend wie die magischen Wesen aus antiken Märchen.
    Verflucht, was hatte ich nur getan? Ich musste meinen Fehler wiedergutmachen. Irgendwie.
    Mit brennenden Augen ging ich hoch in mein Zimmer, zog einen dicken, braunen Wollpullover über mein Hemd, tauschte die Leggings gegen eine schwarze Cordhose, wickelte mir meinen grauen Lieblingsschal um den Hals und rannte, das Fell des Selkies unter einen Arm geklemmt, nach draußen. Dad schlief auf dem Sofa vor dem Fernseher und bemerkte nicht, dass ich an ihm vorbeihuschte. Mühsam kämpfte ich mich durch knietiefen Schnee, dicht entlang der Klippen, die rechts von unserem Haus nach etwa fünfzig Metern in einem breiten Strand ausliefen. Brandungswellen spien leuchtende Gischt in das Dunkel der Winternacht. Als ich am Rand des aufgewühlten Wassers stand, holte ich tief Luft und schrie aus vollem Hals: „Es tut mir leid. Ich bringe es dir zurück. Bitte verzeih mir.“
    Eine heftige Böe packte das Fell und riss es mir fast aus der Hand.
    „Hier ist es. Ich gebe es dir zurück.“
    Was tat ich hier? War ich völlig bescheuert? Ich stand am Strand und rief nach einem Selkie. Das Verrückteste an all dem war der Gedanke, dass ich mich überhaupt nicht verrückt fühlte.
    Wellen schäumten über den Kies, leckten am Schnee und warfen Gischtflocken in den sternenübersäten Himmel. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und glaubte, den Herzschlag der See zu spüren, wie ein Vibrieren in meiner Seele. Draußen in der Tiefe lagen Ewigkeit und Geheimnis. Die Weite des Ozeans kannte keine Grenzen. Ich malte mir wie tausend Mal zuvor aus, in das Wasser zu rennen und eins mit ihm zu werden. Mit dem Salz und der Dunkelheit, dem ewigen Schlagen der Wellen und den endlosen Strömungen.
    Ein Instinkt meines Unterbewusstseins flüsterte mir ein, dass mein Selkie hier war. Vielleicht war es auch nur

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