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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Ursprünglichkeit. Er konnte das tun, wovon ich nur träumte. Eins werden mit den Wellen und den Strömungen.
    „Zweimal verriet ich Menschen die Wahrheit“, sagte er. „Das erste Mal liebten sie mich. Das zweite Mal versuchten sie, mich umzubringen.“
    „Du bist …“ Ich würgte an dem hartnäckigen Kloß in meinem Hals. „Du bist ein …“
    „Ja?“ Er neigte den Kopf. Im Geiste strichen meine Finger durch sein feuchtes Haar. Mein Herz raste, als wolle es die ihm vorbestimmte Anzahl von Schlägen innerhalb weniger Minuten abarbeiten.
    „Du bist ein Selkie?“, stieß ich hervor.
    „Ich habe keinen Namen. Was einen Namen hat, kann gefangen oder getötet werden.“
    „Das passiert auch ohne Namen.“
    „Ich weiß. Aber ich mag meine Illusionen.“
    „Du redest nicht wie jemand, der …“
    „… mehr Tier als Mensch ist?“, fuhr er mir über den Mund. „Ich lebte ein paar Jahre unter deinesgleichen. Sie brachten mir ihre Sprache bei und ihre Art zu denken. Außerdem höre ich euch reden, wenn ihr auf euren Booten über das Meer fahrt. Oder wenn ihr an den Stränden feiert. Ich höre euch oft zu. Und lerne.“
    Sein Blick heftete sich auf unser Haus. Als ich die Sehnsucht darin aufflackern sah, wusste ich – vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben –, was die richtigen Worte für den richtigen Moment waren.
    „Du willst nicht allein sein, stimmt’s? Dann komm mit und wärm dich auf. Mein Dad hat dir geholfen, er würde dich niemals verraten. Und ich genauso wenig.“
    Ein wehmütiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Ich wollte es berühren. Es erforschen. Ihm zeigen, dass er bei mir sicher war. Vor allem aber wollte ich spüren, dass er echt war.
    „Ich weiß, das kann jeder sagen“, drang ich weiter auf ihn ein. „Aber ich meine es ehrlich. Du kannst mir vertrauen. Dad und ich wussten vom ersten Moment an, dass du kein Mensch bist. Hätten wir dir was antun wollen, wäre das längst schon passiert. Komm.“ Ich ließ meine Stimme lockend klingen. Als wollte ich das Vertrauen eines scheuen Wildtieres gewinnen. „Komm. Dir passiert nichts.“
    Endlich willigte er mit einem Nicken ein, nahm das Fell von seinen Schultern und wickelte es wie ein Kleidungsstück um seine Hüfte. Süßer Triumph ging Hand und Hand mit der Angst davor, etwas Magisches zu zerstören. Jetzt nur nichts falsch machen. Jeden meinen Schritte setzte ich behutsam, wandte mich um, lächelte meinem Selkie zu und hoffte, das zarte Band unseres Vertrauens zu festigen.
    Menschen hatten ihn um ein Haar getötet. Dass der Junge mir dennoch folgte, obwohl ich zu seinen Feinden gehörte, machte mich glücklich und traurig zugleich. Er konnte nicht sicher sein, dass wir ihm nichts Böses wollten.
    Und deshalb war sein Vertrauen umso kostbarer.
    „Alles okay.“ Ich streifte sanft seinen Arm, als er durch die geöffnete Tür schlüpfte. Seine Haut war eiskalt. Und doch fühlte sie sich wunderbar an. Glatt und seidig. Wie die Haut eines Meeresgeschöpfs sein musste, um mühelos durch das Wasser zu gleiten. „Du frierst sicher.“
    „Nur in diesem Körper“, gab er zurück.
    „Du meinst deinen Menschenkörper?“
    „Ja.“
    Dad stand mitten im Wohnzimmer und empfing uns mit schamlosem Gegaffe. Er hatte ein Talent dafür, gerade dann aufzuwachen, wenn ich es nicht gebrauchen konnte. Zum Beispiel, wenn ich aus wie auch immer gearteten Gründen versuchte, unbemerkt in mein Zimmer zu schleichen oder wie jetzt jemanden hineinschmuggeln wollte. Dass sein Instinkt auch diesmal einwandfrei funktionierte, entlockte mir ein Stöhnen.
    „Dad, ich …“
    Darf ich dir meinen neuen Freund vorstellen?, formulierte ich in Gedanken. Gestatten, Selkie. Umgangssprachlich auch Seehundmensch genannt. Aber das weißt du ja schon, oder?
    „Mari“, presste er nur hervor. Sein Gesicht wurde fahl, sein Haar stand zu Berge.
    „Ja?“
    „Du weißt, was du tust?“ Wachsam trat er näher. Der Junge versteifte sich, ohne zurückzuweichen. Seine schwarzen Seehundaugen blickten sanft, doch ich sah die Furcht dahinter. Eine aus schlechten Erfahrungen geborene, tief sitzende Scheu.
    „Er ist kein Monster, Dad. Ich dachte, das wüsstest du.“
    „Nein. Ja. Er ist kein Mensch.“
    „Na und?“ Ich rollte mit den Augen. „Vielleicht sollte ich dich darauf hinweisen, dass er unsere Sprache versteht. Und sie sogar sehr gut spricht. Sei lieber froh, dass es ihm gut geht.“
    Dad schien mich nicht einmal wahrzunehmen. Er streckte den Arm aus und legte

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