Sturmherz
beschützen konnte. Ebenso wenig konnte ich haarscharf am Maul eines Orcas vorbeischwimmen, um sie von meinem Mut zu überzeugen.
„Alles klar?“ Fürsorglich drückte Mari meine Hand, während wir die Straße entlanggingen. „Geht es dir gut?“
„Denkst du, ein paar Menschen machen mir Angst?“, brummte ich. „Jeden Tag muss ich damit rechnen, gefressen oder erschossen zu werden.“
Unternehmungslustig sah ich mich um. Wenn wenigstens ein Menschenmann auf sie losgegangen wäre, um sie für sich zu beanspruchen. Ich hätte sein Innerstes nach außen gekrempelt und ihn über die Hafenmauer geworfen, um anschließend in Maris Bewunderung zu baden.
Ihr fürsorglicher Blick ging mir durch Mark und Bein. So viele Gefühle, die nur mir galten. Ich straffte mich und drückte die Brust heraus, doch innerlich fühlte ich mich, als hätte mir etwas alle Kraft ausgesaugt. So aufregend die Stadt auf ihre Art auch war, sie machte mich schwach. Meine Sinne spielten verrückt, meine Beine waren weich wie Quallen. Und wäre ein Balzkampf mit einem Menschenmann nötig geworden, hätte ich vermutlich schändlich verloren. Das einzig Kraftspendende in dieser Welt waren neben Mari die Bäume mit den Vögeln darin. Grüne, sich im Wind wiegende, duftende Bäume. Blumen wuchsen auf kleinen Grasflächen, aber inmitten der stinkenden Kisten und wuselnden Menschen wirkten sie traurig und eingesperrt. Tausend Blicke schienen mich zu durchbohren. Die Luft stank, mein Kopf schmerzte. Zu viele Reize, zu viele Farben, Gerüche und Gefühle. Um nicht verrückt zu werden, starrte ich auf Marias glänzendes Haar.
„Es ist so laut.“ Meine Faszination für dieses lärmende Ungetüm erhielt einen Dämpfer nach dem anderen. „Überall riecht es. Die Menschen laufen aneinander vorbei, als würden sie sich gar nicht kennen.“
Mari zwinkerte mir zu. „Sie kennen sich auch nicht.“
„Aber sie leben doch zusammen.“
„Schon. Es sind nur zu viele. Es kann nicht jeder jeden kennen.“
„An Land ist vieles anders als im Meer.“
„Da hast du recht.“
Die Zweibeiner, dachte ich bei mir, sind anscheinend nicht dazu fähig, ohne Worte miteinander zu kommunizieren. Stattdessen halten sie sich mit verkniffenen Gesichtern kleine Kästchen an die Ohren. Ich wusste von meinen Beobachtungen, dass sie sich liebend gern mit diesen Dingern unterhielten, aber ich hatte keine Ahnung, warum. Später würde ich Mari danach fragen. Wenn sich mein Kopf nicht mehr anfühlte, als wäre er mit Feuerquallen gefüllt.
„Man merkt, dass ihr keine Fressfeinde mehr habt.“ Eine ohrenbetäubend knatternde Kiste raste an mir vorüber. Instinktiv machte ich einen Satz zur Seite, wobei ich Mari fast von den Füßen riss.
Kichernd klammerte sie sich an mir fest und murmelte etwas Beruhigendes. In meinen Ohren klingelte es. Dieser Lärm machte mich wahnsinnig. War das wirklich meine Idee gewesen? Hatte ich sie bis vor Kurzen wirklich noch für gut gehalten?
„Ihr Menschen müsst auf nichts mehr aufpassen. Ihr könnt euch mit allem Möglichen vollstopfen und in diesem Krach herumlaufen, ohne dass ihr verrückt werdet.“
Mari zuckte mit den Schultern. „Du hast noch gar keine echte Stadt gesehen. New York zum Beispiel. Oder London. Da hättest du Grund, auszurasten.“
Ihr Versuch, aufmunternd zu klingen, scheiterte kläglich. „Komm.“ Sie packte meine Hand. „Wir kaufen dir Sachen und verschwinden wieder.“
Willenlos ließ ich mich von ihr mitziehen. Hinein in eine dröhnende, nach Schweiß riechende, grellbunte Höhle. Fremdartige Musik wie das Donnern von Wellen malträtierte meine Ohren. Überall hingen Stoffe an Gestellen oder lagen säuberlich gestapelt auf Tischen und in Schränken. Hier besorgten sich die Menschen also ihre Felle. Damals hatte Florence unsere Kleider ausschließlich selbst genäht, aber ich wusste, dass man in großen Fabriken Stoffe in allen nur erdenklichen Farben herstellte, damit Menschen sie sich als Fellersatz umhängen konnten. In sah mich in Dutzenden Spiegeln, mit zerzaustem Haar, blassem Gesicht und staunenden Augen. Der schwarze Boden glitzerte wie ein klarer Nachthimmel, als wären unzählige Sterne darin eingelassen. Silberne Kugeln an der Decke leuchteten in hellem Blau und drehten sich. Ich wusste kaum, wohin ich zuerst hinschauen sollte. In schneller Abfolge hielt Mari mir Hosen vor die Nase, eine so unauffällig wie die andere.
„Was ist mit der da?“ Ein blaues Funkeln an der Stange neben mir fesselte
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