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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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meine Aufmerksamkeit. Ich zog das Ding hervor und war begeistert. In unzähligen glitzernden Plättchen fing sich das Licht, als sei der Stoff mit Diamanten besetzt. Nie hatte ich etwas Schöneres gesehen.
    „Bist du irre?“ Mari riss mir die Hose aus der Hand. „Erstens ist das nur was für Frauen und zweitens gehört so was höchstens in ein billiges Musikvideo.“
    „Warum?“ Schnell wurde der blaue Glitzerstoff zwischen schlichteren Kleidungsstücken versteckt.
    Versteh einer die Menschen.
    Das Ding war unglaublich hübsch. Warum waren hübsche Sachen nur Frauen vorbehalten? Mit derselben Empörung riss Mari mir kurz darauf eine türkisblaue Jacke und eine mit Spiegelsplittern besetzte Tasche aus den Fingern. Ich wollte gerade meine Verwirrung zum Ausdruck bringen, als das Gekicher zweier Verkäuferinnen meine überreizte Aufmerksamkeit erfolgreich ablenkte. Sie standen dicht beisammen, begafften mich und verfärbten sich unter meinem Blick wie Kraken. Ihre Herzen schlugen so laut, dass sie den Lärm der Stadt und der Musik überlagerten. Lockstoffe schwängerten die Luft, unbewusst ausgeatmet und abgesondert mit ihrem Schweiß.
    Die Leichtigkeit, mit der Menschen verführt werden konnten, war die Grundlage für alle Geschichten, die sich um Selkie-Flüche drehten. Damals, als ich zerfressen gewesen war von Hass, hatte ich die Gabe meiner Spezies gewissenlos ausgenutzt. Die Worte meines Vaters schwirrten in meinem Kopf herum. So oft hatte ich ihre Botschaft befolgt.
    Selkies spielen mit menschlichen Sehnsüchten. Dafür sind sie geschaffen. Sie verwirren Menschen, verschlingen sie, vernichten sie. Und Menschen haben unser Blut an ihren Fingern. Sie reißen uns das Fell vom Fleisch, erschießen und erschlagen uns, weil sie Angst haben. Angst vor dem, was sie nicht beherrschen können. Niemals können wir unsere Feindschaft hinter uns lassen. Der eine ist der Tod des anderen.
    Ich wünschte mich zurück auf meine Insel. Zurück ins Meer. Gemeinsam mit Mari. Dieses Mädchen war nicht mein Feind. Es würde nie mein Feind sein.
    Als ich mich ihr wieder zuwandte, empfing sie mich mit einem höchst entzückenden Gesichtsausdruck. Die Arme vor der Brust verschränkt, die Unterlippe vorgeschoben, schmollte sie vor sich hin.
    „Was ist los?“
    „Die da“, blaffte sie. „Sie glotzen wie Hühner, auf die ein Lastwagen zurast. Und sie sehen dich an, als wärst du ein Stück Kuchen.“
    „Ein Stück Kuchen?“
    „Etwas, das man gerne vernaschen will.“
    Ich lachte und zog sie in meine Arme. Maris wundervoller Seeschwalbenkörper bebte, als ich über ihr Haar streichelte. Ihr Duft machte mich hungrig, ihr klopfendes Herz war Musik in meinen Ohren.
    „Kümmere dich nicht um sie. Ich bin deinetwegen hier. Nur deinetwegen. Also, jetzt sag schon. Was würdest du gerne an mir sehen?“
    Mari brummte etwas Unverständliches, entwand sich mit einem nervösen Kichern meinen Armen und hielt auf eine Ecke zu, in der sich nur schlichte Farben befanden.
    Nun gut, wenn sie meinte, dass mir Felle in der Farbe von Tang und Vogelkot besser standen, würde ich mich ihrem Urteil fügen.
    „Die hier.“ Sie pflückte eine bläuliche Hose aus dickem, grobem Stoff heraus.
    Die Färbung war nicht die Schlechteste, aber das Ding sah aus, als wäre es zwischen zwei kämpfende Robben geraten.
    „Aber sie ist kaputt.“ Ich zupfte an den ausgefransten Rändern der Löcher. „Sie ist sogar ziemlich kaputt.“
    „Das muss so sein.“
    „Sie muss kaputt sein?“
    „Ja. Zieh sie an. Und dazu das hier.“ Der kaputten Hose folgte ein dunkelblaues T-Shirt, das zwar nicht ansatzweise an das herrliche, tiefblaue Geglitzer meines Favoriten heranreichte, aber doch ganz nett aussah.
    „Bist du dir sicher?“, hakte ich nach.
    „Absolut.“ Mari warf sich an mich. Ein Blick in Richtung der Verkäuferinnen stellte unmissverständlich ihre weiblichen Besitzansprüche klar. „Du wirst umwerfend darin aussehen. Und jetzt los, ab in die Kabine.“
    „Komm mit.“
    Kleine Schweißtropfen traten auf ihre Stirn, ihre Unterlippe zitterte. „Das Ding ist ziemlich eng.“
    „Ja. Ist es.“
    Maris Anblick heizte meinen Körper auf. Ich wollte bei ihr sein, mich durch sie lebendig fühlen, egal was wir damit auslösten. Vielleicht war es gut, dass wir hier waren. Alles war so laut, so bunt und grell, dass mich der Ruf des Meeres nicht erreichte, und damit auch nicht das Schicksal.
    „Komm mit“, wiederholte ich.
    „Besser nicht. Geh schon.

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