Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
Tränen.
Er führte das Schwert immer näher zu sich, immer höher, und dann begriff Hel, was er vorhatte, und ihr Herz verkrampfte sich.
»Nein!«
Seine Finger lagen fest auf ihren. Sie versuchte das Schwert zurückzuzerren, aber es gelang ihr nicht. Die Klinge berührte mit einem feinen Sirren seinen Hals.
Hel konnte das Schwert nicht wegziehen. Aber ihre Hände.
Sie ließ einfach los, ihre Finger rutschten ab und sie taumelte zurück. Doch aufhalten konnte sie ihn nicht mehr.
Die Klinge glitt weich an seiner Haut entlang und zeichnete Blut.
Sternennacht
E s wirkte unecht – als hätte sich ein falscher Albtraum über die Wirklichkeit geschoben. Hel starrte auf das flüssige Rot, das erst stockend, dann wie in einem Sturzbach aus der Seite seines Halses quoll und mit leise trommelnden Tropfen in den Boden schlug. Erst als Lichter aus ihm strömten und die Klinge aufstrahlen ließen, wurde Hel klar, dass es wirklich passierte.
Er senkte kraftlos das Schwert. Nur die Lichtstrahlen, die aus seiner Brust stiegen, schienen ihn noch aufrecht zu halten. Er sah Hel an, und sein Blick klärte sich, bis ihn nichts mehr verschleierte als eine dünne Tränenschicht.
Sie spürte, wie sie auf ihn zuging. Er brach zusammen, kaum dass sie vor ihm stand, und Hel fing ihn behutsam auf. Zusammen sanken sie auf die Erde.
Sie hielt ihn in den Armen, auf ihrem Schoß, und legte eine Hand auf die Wunde. Warm floss es zwischen ihren Fingern hindurch. Lirium strömte von überall zu ihr und sie lenkte das Leben in ihn hinein.
Er sah sie an. Sie mussten nichts sagen. Sie sahen sich; wortlos, und verstanden.
Erst als Hel merkte, wie sein Licht trotz ihrer Bemühungen immer mehr erlosch, konnte sie ein Schluchzen nicht unterdrücken. Sie legte beide Arme um seinen Nacken, beugte sich zu ihm hinab und weinte.
Dünn wie ein Seidenfaden erklang seine Stimme; sie glaubte schon, sie hörte ihn wie so oft von innen heraus. Aber er trug kein Totenlicht mehr, diese Verbindung war für sie für immer verloren.
»Zwischen dir und mir steht die ganze Welt … und weil du ferner bist als … weil es nie sein wird, deshalb wage ich … dich zu lieben. Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, wie ein Mensch zu lieben fähig ist!«
Hel hob den Kopf, um ihm in die Augen sehen zu können. Er schien nicht mehr ganz da zu sein, war schon in ferne Erinnerungen fortgesunken. Sein Blick streifte ihr Gesicht zärtlich, aber er wusste wohl nicht mehr, dass sie tatsächlich da war.
»Ich bin die Nacht«, murmelte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. »Hel ist die Sonne am anderen Ende der Welt. Ich vermisse dich so … wie die Nacht einen wärmenden Sonnenstrahl vermissen muss. Geh auf für mich. Mach Licht. Es ist so dunkel …«
Hel atmete zitternd aus. Sie umklammerte ihn, flößte ihm alles Lirium ein, das sie rufen konnte. Nur noch ein fahles bläuliches Schillern umgab ihn.
Er tastete nach ihrer Hand und drückte ihr Gelenk. Für eine Sekunde glaubte sie beinahe, er sei zurückgekehrt, er könnte zurückkehren.
»Du musst … das Tiefe Licht … zerstöre das Schwert, Hel. Rufe das Tiefe Licht … versprich es mir …«
Sie brachte es nicht über sich, ihm jetzt zu widersprechen. Sie nickte.
Er drückte ihr Gelenk so fest, dass sie Angst bekam, er würde seine letzten Kräfte daran verschwenden. »Du sollst leben, um das Tiefe Licht zu rufen … und du wirst auch danach leben …«
»Ja«, flüsterte sie.
Ein Ausdruck des Friedens breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Eine schöne Welt …«
Sein Griff löste sich; er sank in ihre Arme, wurde schwerer. Hel strich ihm die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er war so jung, er hatte sie bestimmt angelogen, als sie ihn nach seinem Alter gefragt hatte. Panik fegte durch Hel, als sie begriff, dass sie nie mehr eine Antwort bekommen würde – weder auf die Frage nach seinem Alter noch auf sonst etwas. Dabei musste sie noch so viel über ihn erfahren, so viel, alles –
Sie beugte sich wieder hinab und weinte in seine Halsbeuge. Es gab nichts mehr zu erfahren. Er war tot.
Sein Licht verglomm wie ein Stern im dämmernden Morgen, und alles wurde dunkel um Hel, trotz des Schwertes, das in seiner schlaffen Hand weiterleuchtete.
Hel blieb reglos. Sie konnte sich nicht von ihm lösen. Wenn sie ihn losließ, würde sie seinen lichtlosen Körper sehen, das Blut, das an ihren Fingern längst trocknete, und das würde sie nicht überstehen. Wenn sie sich nur darauf konzentrierte, nicht
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