Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
Weiße annahm, als sie erkannte, was sie soeben getan hatte. Sie versteifte sich, senkte den Blick, und alle Müdigkeit floh angesichts ihrer plötzlichen Angst.
Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Der Gottkönig konnte seine Diener herbeirufen, damit sie Siri hinrichteten. Er konnte ihr Gewand zum Leben erwecken und sie damit erwürgen. Er konnte dem Teppich befehlen, aufzusteigen und sie zu ersticken. Vermutlich konnte er sogar der Zimmerdecke befehlen, sich auf sie herabzusenken, und das alles, ohne in seinem Sessel auch nur eine einzige Bewegung zu machen.
Sie atmete flach vor Furcht und erwartete Wut und Strafe. Aber… nichts geschah. Die Minuten vergingen.
Schließlich schaute Siri wieder auf. Der Gottkönig hatte sich bewegt. Jetzt saß er aufrechter da und betrachtete sie von seinem dunklen Stuhl neben dem Bett aus. Sie sah, wie seine Augen im Feuerschein glitzerten. Sein Gesicht vermochte sie nicht zu erkennen, aber irgendwie schien er nicht wütend zu sein. Er wirkte nur kühl und fern.
Fast hätte sie den Blick wieder zu Boden gesenkt, aber sie zögerte. Wenn schon ihre heftigen Worte keine Reaktion hervorriefen, dann war es mit ihren Blicken vermutlich genauso. Also hob sie das Kinn und sah ihn an. Dabei wusste sie genau, dass sie etwas Dummes tat. Vivenna hätte diesen Mann niemals gereizt. Sie wäre still und ergeben geblieben und hätte entweder das Problem gelöst oder– falls es keine Lösung gab– jede Nacht hier gekniet, bis ihre Geduld sogar den Gottkönig von Hallandren beeindruckte.
Aber Siri war nicht Vivenna. Das musste sie endlich begreifen.
Der Gottkönig sah sie weiterhin an, und Siri spürte, wie sie errötete. Sechs Nächte hatte sie nackt vor ihm gekauert, aber ihn unbekleidet anzusehen, war noch peinlicher. Dennoch wich sie nicht zurück. Sie blieb knien, sah ihn an und zwang sich, wach zu bleiben.
Das war schwierig. Sie war müde, und diese Position war noch unbequemer als das vornübergebeugte Knien. Dennoch starrte sie ihn an und wartete. Die Stunden vergingen.
Schließlich erhob sich der Gottkönig– etwa zur selben Zeit wie jede Nacht. Siri versteifte sich; der Schock machte sie wach. Doch er ging einfach nur zur Tür. Leise klopfte er dagegen, und sie wurde für ihn geöffnet; die Diener hatten auf der anderen Seite gewartet. Er trat nach draußen, und die Tür wurde geschlossen.
Sie wartete angespannt. Keine Soldaten kamen, um sie zu verhaften; keine Priester kamen, um sie zu züchtigen. Schließlich erhob sie sich, ging zum Bett, vergrub sich in den Laken und genoss die Wärme.
Der Zorn des Gottkönigs ist entschieden weniger schrecklich, als man mir berichtet hat, dachte sie benommen.
Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Kapitel 12
A m Ende blieb Lichtsang nichts anderes mehr übrig, als sich die Bittgesuche anzuhören.
Es war ärgerlich, denn der Hochzeitsjubel würde erst in ein paar Tagen vorbei sein. Doch die Menschen brauchten ihre Götter. Er wusste, dass er sich nicht ärgern sollte. Den größten Teil der Woche hatte er wegen der Hochzeitsfeierlichkeiten– an denen weder Braut noch Bräutigam teilgenommen hatten– frei gehabt, und das sollte genügen. Er musste doch lediglich ein paar Stunden am Tag Kunstwerke betrachten und sich die Sorgen der Menschen anhören. Es war nicht viel. Doch sogar dies zerrte an seiner seelischen Ausgeglichenheit.
Er seufzte und lehnte sich auf seinem Thron zurück. Auf dem Kopf trug er eine bestickte Kappe, die zu seiner lockeren Robe in Gold und Rot passte. Das Kleidungsstück war über beide Schultern gewunden, um seinen Körper geschlungen und mit goldenen Quasten besetzt. Wie all seine Kleidungsstücke war auch dieses viel schwieriger anzulegen, als es aussah.
Wenn mich meine Diener plötzlich verließen, dachte er belustigt, dann wäre ich gar nicht in der Lage, mich allein anzuziehen.
Er stützte den Kopf auf die Faust und den Ellbogen auf die Armlehne des Throns. Dieser Raum seines Palastes öffnete sich unmittelbar zum Rasen– raues Wetter war selten in Hallandren–, eine kühle Brise wehte vom Binnenmeer herbei und brachte den Geruch von Salz mit. Er schloss die Augen und atmete tief ein.
In der letzten Nacht hatte er wieder vom Krieg geträumt. Llarimar hatte diesen Traum als besonders bedeutungsvoll empfunden, Lichtsang hingegen war nur etwas verwirrt. Alle sagten, dass Hallandren ohne Schwierigkeiten gewinnen würde, falls es Krieg geben sollte. Doch wenn das der Fall war, wieso träumte er dann
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