Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
hereinbrach, wurde sie gebadet, und man brachte ihr eine Auswahl an Hauskleidern, die sie im Schlafgemach tragen sollte. Inzwischen nahm sie nur noch solche, die aus großen Mengen Stoff bestanden, was für sie beim Schlafen auf dem Boden bequemer war. Oft fragte sie sich, was wohl die Schneiderinnen denken würden, wenn sie wüssten, dass diese Kleidungsstücke immer nur für kurze Zeit getragen wurden, bis sie auf dem Boden landeten und schließlich als Laken dienten.
Ihr gehörte nichts, aber sie bekam, was sie wollte. Exotische Speisen, Möbel, Unterhaltungskünstler, Bücher, Kunst… sie brauchte nur zu fragen. Aber wenn sie damit fertig war, wurde alles wieder weggeräumt. Sie hatte gleichzeitig alles und nichts.
Siri gähnte. Sie war müde und übernächtigt vom unterbrochenen Schlaf. Die leeren Tage halfen auch nicht gerade. Wenn ich bloß mit jemandem reden könnte. Aber alle Dienerinnen und Diener, Priester und Schreiber waren in ihren formellen Rollen gefangen. Und das galt für jeden, mit dem sie zu tun hatte.
Außer für ihn.
Aber hatte sie wirklich etwas mit ihm zu tun? Der Gottkönig schien es zu genießen, ihren Körper zu betrachten, aber er hatte ihr nie gezeigt, dass er mehr von ihr wollte. Er ließ sie einfach nur vor sich knien und betrachtete und beobachtete sie. Daraus bestand ihre ganze Ehe.
Die Dienerinnen hatten ihr Abendessen bereitet und stellten sich an der Wand auf. Es war schon spät– die Zeit für ihr abendliches Bad rückte näher. Ich muss schnell essen, dachte sie. Schließlich darf ich nicht zu spät zu den abendlichen Liebäugeleien kommen.
Wenige Stunden später stand Siri gebadet, parfümiert und angekleidet vor der massiven goldenen Tür, die zum Schlafgemach des Gottkönigs führte. Sie atmete tief ein und beruhigte sich. Vor Angst hatte ihr Haar wieder eine blassbraune Färbung angenommen. An diesen Teil des Rituals hatte sie sich noch immer nicht gewöhnt.
Es war dumm. Sie wusste genau, was geschehen würde. Dennoch war die ängstliche Erwartung da. Die Handlungen des Gottkönigs bewiesen die Macht, die er über sie hatte. Eines Tages würde er sie nehmen; es konnte jederzeit so weit sein. Ein Teil von ihr wünschte, sie hätte es endlich hinter sich. Die nicht endende Furcht war noch schlimmer als jener erste Abend des Schreckens.
Sie zitterte. Blaufinger betrachtete sie. Vielleicht würde er irgendwann darauf vertrauen, dass sie pünktlich beim Schlafgemach eintraf. Bisher hatte er sie jede Nacht begleitet.
Wenigstens hat er mir nicht mehr beim Baden zugesehen. Das warme Wasser und die angenehmen Düfte hätten sie eigentlich entspannen sollen, aber leider verbrachte sie jedes Bad damit, sich entweder Sorgen über ihren bevorstehenden Besuch beim Gottkönig oder darüber zu machen, dass ein männlicher Diener eintreten könnte.
Sie sah Blaufinger an.
» Noch ein paar Minuten, Gefäß«, sagte er.
Woher weiß er das?, fragte sie sich. Dieser Mann schien ein übernatürliches Zeitgefühl zu besitzen. Im ganzen Palast hatte sie bisher keinen Zeitmesser gesehen– keine Sonnenuhr, keine Kerze mit Messeinteilung, keine Wasseruhr. Anscheinend machten sich die Götter und Göttinnen in Hallandren keine Gedanken über die Zeit. Sie hatten ihre Dienerschaft, die sie rechtzeitig an Verabredungen erinnerte.
Blaufinger sah zuerst sie und dann die Tür an. Als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, wandte er sich sofort ab und trat von einem Bein auf das andere.
Warum ist er so nervös?, dachte sie verärgert und starrte auf das verschlungene Muster der Goldschmiedearbeiten an der Tür. Er ist doch nicht derjenige, der dies jede Nacht durchmachen muss.
» Geht es… mit dem Gottkönig gut voran?«, fragte Blaufinger plötzlich.
Siri zog die Stirn kraus.
» Ich sehe, dass Ihr oft sehr müde seid«, erklärte Blaufinger. » Ich… vermute, Ihr seid nachts sehr… aktiv?«
» Und das ist gut, nicht wahr? Alle wollen doch so bald wie möglich einen Erben haben.«
» Ja, natürlich«, sagte Blaufinger und rang die Hände. » Es ist nur so, dass…« Er verstummte, und ihre Blicke trafen sich. » Ihr solltet vorsichtig sein, Gefäß. Ihr dürft nicht den Kopf verlieren. Versucht, wachsam zu sein.«
Ihr Haar wurde nun ganz weiß. » Das klingt, als wäre ich in Gefahr«, sagte sie leise.
» Wie bitte? In Gefahr?«, fragte Blaufinger und schaute zur Seite. » Unsinn. Was solltet Ihr schon zu befürchten haben? Ich wollte damit nur andeuten, dass Ihr wachsam sein müsst,
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