Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
herangetragen worden war. Er hatte schwangere Frauen in den Tod geschickt, hatte Kinder und Eltern ihrem Schicksal überantwortet und die Unschuldigen und Gläubigen ins Elend gejagt.
Es gab keinen Grund für eine so heftige Reaktion. Er konnte es ertragen. Es war doch nur eine kleine Sache. Wie das Aufnehmen jede Woche. Ein kleiner Preis…
Die Tür öffnete sich wieder, und eine Gestalt trat ein.
Lichtsang drehte sich nicht um. » Was wollen diese Leute von mir, Llarimar?«, wollte er wissen. » Glauben sie wirklich, ich würde es tun? Ich, Lichtsang der Selbstsüchtige? Glauben sie wirklich, ich würde mein Leben für das ihre hingeben?«
Llarimar schwieg eine Weile. Dann sagte er: » Ihr gebt ihnen Hoffnung, Euer Gnaden. Auch wenn diese Hoffnung unwahrscheinlich ist. Die Hoffnung ist ein Teil des Glaubens– ein Teil des Wissens, dass eines Tages einem Eurer Anhänger ein Wunder zuteil wird.«
» Und wenn sie sich irren?«, fragte Lichtsang. » Ich verspüre nicht das Bedürfnis zu sterben. Ich bin ein Mann des Luxus und Müßiggangs. Jemand wie ich gibt nicht sein Leben hin, auch dann nicht, wenn er zufällig ein Gott ist.«
Darauf erwiderte Llarimar nichts.
» Die Guten sind schon alle tot, Huscher«, sagte Lichtsang. » Stillseherin, Hellton– das waren die Götter, die sich selbst aufgegeben hätten. Wir anderen sind selbstsüchtig. Seit etwa drei Jahren ist kein Bittgesuch mehr angenommen worden, oder?«
» Ja, ungefähr, Euer Ehren«, sagte Llarimar leise.
» Und warum sollte es jetzt anders sein?«, fragte Lichtsang und lachte kurz auf. » Kommt dir das nicht grotesk vor? Ich meine, wir müssen sterben, wenn wir einen von ihnen heilen wollen. Was ist das für eine Religion, die ihre Anhänger dazu ermuntert, um das Leben ihres Gottes zu bitten?« Lichtsang schüttelte den Kopf. » Für sie sind wir nur so lange Götter, bis sie uns töten. Ich würde zu gern wissen, warum die Götter schließlich darin einwilligen. Es sind diese Bittgesuche, die man sich Tag für Tag anhören muss, und das Wissen, dass man einen von ihnen heilen könnte – dass man es sogar tun sollte, da das eigene Leben doch nicht viel wert ist. Das reicht, um jemanden in den Wahnsinn zu treiben. Es reicht, um jemanden in den Selbstmord zu treiben!«
Er lächelte und sah den Hohepriester an. » Selbstmord durch göttliche Offenbarung. Sehr theatralisch.«
» Soll ich die restlichen Bittsteller nach Hause schicken, Euer Gnaden?« Llarimar ließ nicht erkennen, ob er über diesen Gefühlsausbruch verärgert war.
» Gern, warum nicht?«, meinte Lichtsang und machte eine knappe Handbewegung. » Sie brauchen eine Lektion in Theologie. Sie sollten doch bereits wissen, was für ein nutzloser Gott ich bin. Schick sie fort und sag ihnen, sie sollen morgen wiederkommen– vorausgesetzt, sie sind dumm genug, es tatsächlich zu tun.«
» Ja, Euer Gnaden«, sagte Llarimar und verneigte sich.
Wird dieser Mann denn nie wütend auf mich?, dachte Lichtsang. Er sollte von allen am besten wissen, dass auf mich kein Verlass ist!
Lichtsang drehte sich um und ging fort, als Llarimar in die Halle der Bittgesuche zurückkehrte. Kein Diener versuchte ihm zu folgen. Lichtsang schritt durch einen rot ausgeschmückten Raum nach dem anderen, gelangte schließlich zur Treppe und stieg hoch in den zweiten Stock. Diese Etage war an allen Seiten offen und eigentlich nichts anderes als eine große, überdachte Terrasse. Er ging zu der Seite, die am weitesten von den Wartenden entfernt lag.
Hier herrschte eine starke Brise. Er spürte, wie sie an seiner Robe zupfte; sie brachte Düfte mit, die Hunderte von Meilen gereist waren, den Ozean überquert, sich um Palmen geschmiegt hatten und schließlich in den Hof der Götter eingedrungen waren. Lange stand er da und schaute über die Stadt auf das Meer hinaus. Im Gegensatz zu dem, was er manchmal sagte, verspürte er kein Verlangen, sein bequemes Heim am Hof zu verlassen. Er war kein Mann des Dschungels; er war ein Mann der Festlichkeiten.
Doch bisweilen hätte er sich gern wenigstens etwas anderes gewünscht. Schamweberins Worte lasteten noch schwer auf ihm. Irgendwann musst du für etwas eintreten, Lichtsang. Für die Menschen hier bist du ein Gott …
Das war er, ob er es wollte oder nicht. Und das war der frustrierende Teil. Er hatte sein Bestes gegeben, um nutzlos und eitel zu erscheinen. Trotzdem kamen sie noch.
Wir könnten deine Zuversicht gut gebrauchen … Du bist ein besserer Mann, als du dir
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