Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
wunderschön anzuschauen und zu nichts anderem nütze, als sich an ihrem Anblick zu erfreuen.
Seit Harun ihr offenbart hatte, dass er alles über sie wusste – über ihre Herkunft, ihre Kindheit, über Kahramans Drohung, ihre Mutter zu töten, wenn Sabatea nicht gehorchte –, war sie ihm nur ein einziges weiteres Mal begegnet. Man hatte sie in einen der Audienzräume gebeten, ein kühles, abweisendes Marmorzimmer, wo sie vom Kalifen und seinem Hofmagier erwartet wurde. Sie hatten weder über ihre Mutter Alabasda noch über die Strafe für den Mordversuch gesprochen. Stattdessen hatte Harun sie einmal mehr über den Narbennarren ausgefragt, während der alte Khalis stumm an seiner Seite gestanden und sie angestarrt hatte. So als hätte er tief in ihrem Inneren erkennen können, ob sie die Wahrheit sagte oder nur versuchte, dem Henker zu entgehen.
Dabei hatte sie keine Angst vor dem Tod. Auch ihre Mutter in Samarkand würde sterben, daran hatte sie keinen Zweifel mehr. Vielleicht würden sie sich anderswo wieder sehen, an einem besseren Ort, ohne Tyrannen wie Kahraman und schwermütige Herrscher wie Harun al-Raschid.
Aber noch war sie nicht bereit aufzugeben. Dafür hatte sie nicht all die Torturen und die Gewissheit erduldet, dass ihr Körper tödlicher war als der einer Giftschlange. Dafür hatte sie nicht ihre Verzweiflung und Einsamkeit überwunden und gelernt, eigene Gedanken zu fassen, Wünsche und Hoffnungen zu hegen, ihren Willen durchzusetzen, unter Einsatz aller Mittel. Ihre Waffen waren seit jeher das Gift in ihren Adern und die Gelüste der Männer gewesen; vor allem aber ihre Fähigkeit, andere gegeneinander auszuspielen. All das hatte sie genutzt, wenn es zu ihrem Vorteil war. Sie war nicht stolz darauf, aber sie spürte auch kein Bedauern darüber, erst recht keine Scham. Sie hatte getan, was nötig war. Noch etwas, das Tarik und sie einander so ähnlich machte.
Auch mit dem Alleinsein kannte sie sich aus, mit der Gefangenschaft in einem Käfig aus Gold und Edelsteinen. Inwiefern also unterschied sich dieser Palast von jenem daheim in Samarkand? Die Antwort hatte nichts mit diesem Ort zu tun, nichts mit einer der beiden Städte oder einem der Herrscher, denen sie gleichermaßen ausgeliefert war. In Wahrheit lag die Antwort genau dazwischen, auf dem Weg von Samarkand nach Bagdad. Durch Tarik hatte sich alles verändert, ob sie wollte oder nicht.
Irgendwann schlief sie doch noch ein, verlor sich in einem diffusen Traum von ihrer Mutter, die zwischen Gitterstäben die Hand nach ihr ausstreckte. Alabasda war einst eine schöne Frau gewesen, doch das Wissen um die Qualen ihrer Tochter hatten sie früh altern lassen. Ihr Haar war grau geworden, ihre Haut aschfahl. Jüngere hatten sie aus Kahramans Schlafgemach verdrängt. Nur selten hatte Sabatea sie sehen dürfen, hier und da ein verstohlenes Wort, ein kurzer Blick, nicht mehr.
Schließlich hatte Kahraman ihr seinen Befehl gegeben: Töte den Kalifen für mich, sonst wird deine Mutter sterben.
Allmählich verstand sie, dass sie schon vor langer Zeit aufgehört hatte, Alabasda zu lieben, so lange, dass sie sich an aufrichtige Gefühle für sie kaum mehr erinnern konnte. Ihre Mutter hatte nie versucht, sie vor den Experimenten der Alchimisten zu bewahren. Ganz im Gegenteil – Sabateas Leid war der Preis gewesen, den Alabasda für ihr behütetes Leben im Palast bezahlt hatte, erst recht nachdem ihre Schönheit verblasst war.
Etwas strich über Sabateas Gesicht.
Eine Hand? Nur ein Windstoß.
Fröstelnd setzte sie sich im Bett auf. Für einen Moment vermochte sie nicht zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Aber auch, als sich die Dunkelheit um sie herum zu ihrem Schlafgemach formte und ihre nackten Beine sich mit Gänsehaut überzogen, blieb noch immer etwas zurück, ein Echo ihres Alptraums.
Jemand war bei ihr im Zimmer. Sie spürte seine Anwesenheit, bevor sie seine Silhouette vor den wehenden Seidenvorhängen erkannte.
Mitten im Raum war ein fliegender Teppich gelandet, lag ausgebreitet zwischen ihr und der offenen Tür zum Balkon. Eine Gestalt stand darauf, breitbeinig, ein Krummschwert in der Hand.
»Tarik?«
»Nicht bewegen«, raunte eine Stimme.
»Wer -«
»Still, wenn du leben willst!«
Der Mann drehte den Kopf, sah aber nicht zu ihr herüber. Sein Blick suchte das dunkle Schlafgemach ab, nach Wächtern, fürchtete sie – bis ihre Augen sich an das schwache Sternenlicht von draußen gewöhnten und sie erkannte,
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