Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
hauchdünnes Nachtgewand, das draußen in der Stadt alle Aufmerksamkeit auf sie ziehen würde? Die Dienerinnen brachten ihr jeden Morgen neue Kleidung und nahmen die abgelegte am Abend mit; es gab nichts, das sie sich auf die Schnelle hätte überziehen können. Außerdem war sie als Teppichreiterin nicht gut genug, um der Falkengarde zu entkommen.
Die Schreie und das Schwertergerassel verlagerten sich nach links, den Gang hinunter, fort von ihrem Zimmer. Als der Lärm auch nach mehreren Augenblicken nicht wieder lauter wurde, atmete sie vorsichtig auf.
Das Affenlachen ertönte erneut, nicht so schrill wie vorhin, sondern ruhiger, kehliger, wie durch geschlossene Lippen.
Es war nicht mehr im Nebenzimmer. Auch nicht jenseits der Tür.
Sabatea legte langsam den Kopf in den Nacken und schaute zur dunklen Decke.
Das Ding war so groß wie ein Mensch, mit Kopf und Torso und zwei Beinen. Rechts und links sprossen sechs Arme aus der Körpermitte, drei auf jeder Seite, mit denen es sich rücklings am Stein festkrallte.
Das schnarrende Lachen verstummte. Ein Augenpaar glühte im Dunkeln. Als Sabatea schrie, öffnete sich ein drittes Lid auf der Stirn.
Der Kali-Assassine ließ sich fallen.
Kali-Assassinen
Der Befehl jagte durch ihre Hand ins Muster, während ihre Finger sich mit Gewalt in die Stränge gruben. Der Teppich schoss rückwärts auf die Balustrade zu und stieg an, um nicht gegen die steinernen Streben zu rammen. Damit aber bewegte er sich zugleich dem stürzenden Kali-Assassinen entgegen.
Die Kreatur verfehlte Sabatea um Haaresbreite, streifte den Fransenrand des Teppichs und drohte ihn aus der Bahn zu werfen. Sabatea fiel fast vornüber. Beinahe hätte sie die Kontrolle verloren.
Dann aber stabilisierte sich der Teppich und raste auf die Seidenvorhänge zu, dem Fackelmeer des nächtlichen Bagdad entgegen.
Sabatea sah den Kali-Assassinen am Boden aufkommen, noch immer mit Gesicht und Brust nach unten. Seine sechs Arme federten den Aufprall ab. Einen Moment lang sah das Wesen aus wie ein bizarrer Krebs. Auf seinen drei Armpaaren krabbelte es vorwärts und ließ die beiden Beine achtlos nachschleifen.
Es war das Spottbild eines Menschen, falsch und verdreht, von Bewegungsabläufen beherrscht, die durch und durch animalisch waren. Seine Panzerung erschien nur auf den ersten Blick wie Rüstzeug. Tatsächlich war der Leib der Kreatur von gewachsenen Schalen aus Horn umschlossen, während sein Gesicht das eines Mannes war, ebenmäßig, fast schön. Es saß auf einem Hals, der zu lang und beweglich erschien, ähnlich einem siebten Arm, der zwischen den Schulterblättern entspross. Der Körper nahm die Farben der Umgebung an wie ein Chamäleon – teerschwarz waren nur die Augen und das Innere des aufgerissenen Mundes, aus dem wieder das schreckliche Gelächter erklang. Womöglich war es gar kein Lachen, sondern die natürliche Art dieser Wesen, Laute zu bilden, Drohungen auszustoßen oder einander Signale zu geben.
Der Teppich stieß rückwärts durch die Seidenschleier. Eine Bahn verfing sich, wurde abgerissen, sank nach vorn über Sabateas Kopf und raubte ihr die Sicht. Mit der freien Hand griff sie panisch nach dem Stoff, zerrte daran und zog dabei nur noch mehr Seide von hinten über ihr Gesicht. Gegenwind fauchte um ihre Schultern, wieder ertönten Schreie und das Gerassel des Kali-Assassinen.
Sie befreite sich von dem Vorhang gerade in jenem Moment, als sich unter ihr der Abgrund auftat. Der Teppich hatte die Balustrade hinter sich gelassen und schwebte jetzt frei in der Nacht, mehrere Stockwerke über den Terrassen am Fuß des Palastes.
Die Kreatur war einen Augenblick lang nicht mehr zu sehen. Dann aber machte sie einen Satz aus der dunklen Öffnung des Zimmers auf den Balkon, richtete sich in der Luft auf und kam mit den Füßen auf der Balustrade zum Stehen, sank sogleich in die Hocke und hielt sich mit dem unteren Armpaar fest. Mit den vier oberen Armen zog das Wesen Schwerter aus sternförmig angeordneten Lederscheiden auf seinem Rücken. So kauerte es da, blickte Sabatea nach und wippte für ein, zwei Atemzüge auf dem steinernen Geländer. Dann wirbelte es herum und verschwand wieder im Zimmer. Die Tür auf der anderen Seite des Gemachs wurde mitsamt der Kiste fortgerissen. Einen Herzschlag lang sah Sabatea durch wehende Seide die vielarmige Silhouette vor dem hellen Ausschnitt des Korridors, sah, wie sie schlagartig die Farbe änderte und sich dem gelben Lampenschein der Umgebung
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