Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
zitterte noch immer, jetzt vor Anspannung, weil die Freiheit – oder der Anschein von Freiheit, da machte sie sich nichts vor – zum Greifen nahe war.
Vorsichtig beugte sie sich zur Seite und sah den Wehrgang der Gartenmauer unter sich. Sie überflog ihn in diesem Augenblick, hoch über dem zuckenden Schein der Feuerbecken und Fackeln. Befehle schallten durch die Nacht, Kettenhemden klirrten wie Geldbörsen. Bewaffnete eilten an den Zinnen entlang, formierten sich zu einer engen Kette, die den freien Streifen außerhalb der Mauer, aber auch das grüne Dickicht im Innern einschloss.
Jemand blickte nach oben, genau in ihre Richtung. Aber alles, was der Mann sah, war die Unterseite eines Gardeteppichs. Wer darauf saß, konnte er vom Wehrgang aus nicht erkennen.
Sie atmete auf. Schloss für einen Moment die Augen und genoss den frischen Nachtwind auf ihrem Gesicht. Kühl strich er über ihren Körper, presste das seidige Nachtgewand an ihre Haut. Sie würde als Erstes neue Sachen brauchen, wenn sie sich in der Stadt frei bewegen wollte. Vielleicht konnte sie ein paar Kleidungsstücke von einer der Wäscheleinen zwischen den Häusern stehlen.
Gerade wollte sie tiefer gehen, um sich in den düsteren Gassen umzuschauen, als sie ein Rauschen vernahm.
Ein Teppich stieg vor ihr aus der Tiefe empor und schnitt ihr den Weg ab. Zwei Soldaten blickten ihr entgegen, einer mit einem Bogen bewaffnet. Der Pfeil an der Sehne wies in ihre Richtung.
»Halt!«
Sie hatte das Gefühl, dass sich das Muster um ihre Finger versteifte, als wollte es sie festhalten.
»Wenn ihr Dschinne sucht«, rief sie den Gardisten entgegen, »dann sucht anderswo weiter.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wer du bist, Vorkosterin. Jeder Gardist weiß das – vielleicht hättest du nicht so oft auf deinem Balkon stehen sollen.«
Die Blicke, die sie gespürt hatte. Die vorüberschwebenden Teppiche der Palastwachen. Natürlich.
»Kehrst du freiwillig mit uns um«, fragte der Mann über die Kluft zwischen den Teppichen hinweg, »oder müssen wir dich erst einfangen?«
Das würde euch gefallen, dachte sie. Ihr Fluchtversuch mochte gescheitert sein, aber sie würde ihnen nicht noch weiteren Anlass geben, in den Wachstuben und Soldatenquartieren mit ihrem Fang zu prahlen.
Sie widerstand dem Drang, den Teppich in einen Sturzflug zu zwingen, hinab in die Gassen, und dabei alles auf eine Karte zu setzen. Tarik hätte es versucht, ganz sicher sogar.
Aber sie war nicht Tarik und bestenfalls eine passable Teppichreiterin. »Zurück zum Palast?«, fragte sie mit gespielter Naivität, um Zeit zu gewinnen – und erkannte, dass die Entscheidung längst gefallen war.
Hinter ihr waren zwei weitere Gardeteppiche aufgetaucht. Zwischen ihnen spannte sich ein Fangnetz. Die Männer, die es hielten, grinsten.
»Zurück zum Palast«, bestätigte der Soldat.
Blutwein
Am Himmel verblassten erst die Sterne, dann die Fackeln der Falkengarde. Über dem Wüstenhorizont erhob sich ein rotes Glühen. Schließlich kroch die Dämmerung über den Sandozean, über Mauern und Dächer und die türkisblauen Kuppeln der Moscheen.
Sabatea schlief erst ein, als das Licht ihre Laken berührte.
Man hatte sie in einem anderen Zimmer untergebracht. Es unterschied sich kaum von dem vorherigen. Nur war die Tür hier nicht aus den Angeln gerissen, und es klebte kein Blut auf den Fliesen draußen im Korridor.
Sie wurde aus unruhigem Halbschlaf gerissen, als jemand auf ihrer Bettkante Platz nahm. Erschrocken zog sie die Beine an und schob sich rückwärts bis zum Bettgiebel. Für einen Moment sah sie einen Kali-Assassinen vor sich, der Hornpanzer goldfarben wie der Morgenhimmel über der Wüste.
»Ich muss mir dir reden«, flüsterte Harun al-Raschid, die Stimme gezeichnet von Krankheit und Schwäche.
Sie starrte ihn an, entgeistert darüber, dass tatsächlich er es war. Seine Leibwachen mochten draußen vor der Tür oder hinter einem Guckloch in der Wand stehen. Aber hier im Zimmer war keiner außer ihnen beiden.
Sie saß noch immer mit dem Rücken an der seidenverhangenen Giebelwand, die Beine angezogen, das lange schwarze Haar wild zerzaust über Schultern und Brüsten.
Sein Blick fiel auf ihre bloßen Füße, was sie sonderbarerweise so peinlich berührte, als säße sie splitternackt vor ihm. Mit einem Handgriff zerrte sie den Saum des Nachtgewandes nach unten, bedeckte ihre Knie und Fesseln.
»Verzeih«, sagte er, »ich wollte dich nicht in Verlegenheit
Weitere Kostenlose Bücher