Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
mehr auf den Beinen halten konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.
Er senkte die Stimme noch weiter und musste sich näher heranbeugen. Sein Atem roch unangenehm nach Kräutermedizin und Wein. »Khalis ist ein weiser Mann, kaltblütig, aber umsichtig. Er tut seit jeher, was getan werden muss. Aber er ist auch mein Fluch. Er weiß, dass diese Stadt in der kommenden Schlacht einen Herrscher brauchen wird, jemanden, der das Volk zusammenhält und zu dem es aufsehen kann. Und er glaubt noch immer, dass ich das sein sollte.«
»Ihr seid der Kalif«, erwiderte sie.
»Ich bin ein Krüppel, Sabatea! Und nichts wünsche ich mir mehr als einen schnellen, schmerzlosen Tod.« Er studierte ihr Erschrecken genau und seufzte. »Schockiert dich das? Dass der große Herrscher über die Ruinen des persischen Reiches, den alle für bedacht und umsichtig halten, nur noch an sich selbst interessiert ist und sterben möchte?« Nun lachte er doch noch, hart und röchelnd wie jemand, der längst auf dem Totenbett liegt.
Sie kämpfte um die richtigen Worte. »Herr, Ihr sprecht vom Sterben, so als -«
»Als wäre es etwas, das mir lange vorenthalten wurde«, unterbrach er sie. »Khalis behandelt mich zweimal am Tag mit Zauberei und Arzneien, und nur deshalb bin ich in der Lage, hier neben dir zu sitzen und mit dir zu sprechen. Das Gleiche tut er vor jedem öffentlichen Auftritt, vor jeder Audienz, jeder Besprechung mit meinen Heerführern. Eine Weile lang bin ich dann wieder Herr meiner selbst, auch wenn meine Teilnahmslosigkeit immer größer wird.
Ich gebe vor, dass mir das Wohlergehen meines Volkes am Herzen liegt – dabei kümmert mich doch nur noch mein eigenes. Auch deshalb ist es wichtig, dass du mir jetzt gut zuhörst, Sabatea. Denn vielleicht wird mein Interesse an deinem Schicksal schon bald wieder erlöschen.«
Sie verengte die Augen, während sie in den seinen nach Antworten suchte. »Ist das die Wirkung des Dschinngifts?«, fragte sie. »Nicht der Tod, sondern Gleichgültigkeit?«
Er nickte. »Khalis mag glauben, dass er es ist, der mich rettet. Aber ich denke, das Gift des Kali-Assassinen war niemals dazu gedacht, mich zu töten. Stattdessen höhlt es mich von innen aus, raubt mir meinen Willen, meine Entschlusskraft. Für die Dschinne ist ein schwacher Herrscher auf Bagdads Thron viel wirkungsvoller als ein ermordeter. Ein Toter würde ersetzt werden durch einen gesunden, tatkräftigen Nachfolger, während jemand wie ich die Überreste des Kalifats ins Verderben führt. Khalis will das nicht einsehen – oder kann es nicht. Durch einen Nachfolger auf meinem Thron würde sein Einfluss schwinden. Er braucht mich, um seine Position am Hof zu festigen, und die wiederum benötigt er um seiner eigenen sonderbaren Ziele willen.«
Harun al-Raschid gab sich alle Mühe, aufrecht zu sitzen, nicht die Schultern oder den Kopf nach vorn sinken zu lassen. Einmal war Sabatea kurz davor, die Hand nach ihm auszustrecken, um ihn zu stützen. Doch eine unaufgeforderte Berührung des Kalifen war selbst in dieser Lage undenkbar.
»Ich habe keine Söhne«, sagte er. »Wäre ich tot, so würde mein Großwesir Faruk vorübergehend die Herrschaft übernehmen. Er und Khalis sind… keine Freunde. Faruk traut Khalis nicht über den Weg, er ist voller Misstrauen. Khalis hat mir viele Jahre lang mit gutem Rat zur Seite gestanden. Auch jetzt mag er nur das Beste wollen. Und doch sieht er nicht ein, dass Faruk der bessere Herrscher auf dem Thron wäre. Er schützt mich vor mir selbst, mein guter Khalis, und natürlich ist er empört, dass ich dich nicht sofort habe hinrichten lassen.«
»Er beobachtet mich«, stellte Sabatea fest.
»Natürlich.« Die lange Rede hatte ihn verausgabt, und abermals schwankte er. Immer wieder schien sein Blick durch Sabatea hindurchzugehen. »Das Zimmer, in dem du gewohnt hast, war präpariert. Die Kerzen« – die Augen im Rauch, dachte sie –, »und die Malereien an den Wänden« – magische Blicke bei jedem ihrer Schritte –, »all das hat Khalis veranlasst. Früher wurden Botschafter aus Byzanz dort untergebracht, unserem letzten Verbündeten, bis die Verbindung in den Norden abbrach. Der ganze Raum ist ein einziges Auge, durch das Khalis all jene beobachten kann, die darin wohnen.«
Bei diesem Gedanken stieg Übelkeit in ihr auf. Nicht wegen ihrer Nacktheit beim Aus- und Ankleiden mit den Dienerinnen, auch nicht wegen der langen wachen Nächte, in denen sie sich ruhelos umhergewälzt hatte – Scham über
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