Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
sich die Decke mit jedem ihrer Schritte ein wenig tiefer auf sie herab. Die Finsternis schien an Substanz zu gewinnen. Sabatea wurde kurzatmig, und ihr Herz schlug schneller. Ihre Beine drohten nachzugeben. Sie schob es auf den Schlag gegen ihren Hinterkopf, auf den Sturz in die Tiefe.
    Sie wusste nicht, wie weit sie gekommen war – vierzig Schritt oder vierhundert –, als die Mauer unvermittelt endete. Ausgefranst und formlos, keine absichtliche Kante. Ein Einsturz. Oder Durchbruch. Und dahinter nichts als noch mehr Schwärze.
    Sie blieb stehen. Wurde sich schlagartig bewusst, wie laut ihr Atem in der unterirdischen Stille ertönte. Wie deutlich er in der maßlosen Weite dieser Katakomben zu hören sein musste. Die Welt zog sich um sie zusammen. Nur sie allein existierte noch.
    Ihr Herz schlug so verräterisch laut, dass selbst der Sand am Boden vibrierte. Sie blinzelte. Beugte sich vor und hielt die Lampe tiefer.
    Der Sand bebte noch immer. Nicht ihr Pulsschlag: Etwas anderes ließ die Sandkörner tanzen.
    Aus der Finsternis raste es auf sie zu.

 
Das Pfauenfenster
 
 
    Wie gelähmt stand sie vor der geborstenen Mauerkante und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass die Wand sich rechts davon fortsetzte. Das hier war nicht das Ende der Ziegelmauer. Nur ein Durchbruch. Ein Tor. Zu einem unterirdischen Gefängnis.
    Vor ihr, jenseits des Einschnitts -
    Getrampel.
    Etwas kam näher.
    Sie rannte los. Achtete nicht auf das schwappende Öl in der Lampe, auf die zuckende Flamme. Auf die Lichtbahn, die sie damit in die Finsternis sengte.
    Rannte nur, so schnell sie konnte, weiter an der Mauer entlang. Stolperte, verlor fast das Gleichgewicht, schrammte mit der Schulter an spröden Ziegelkanten entlang. Ihre Stiefel wirbelten Sand und Staub auf. Ihr Herz hämmerte wie Faustschläge, so spürbar, als hinge es an einer Kette um ihren Hals. Als wollte es sie aufhalten, mit jedem Schlag um einen Schritt zurückwerfen. Zurück dorthin, wo etwas durch die Öffnung brach, sich herumwarf, ihr Licht entdeckte. Erst Witterung aufnahm, dann ihre Verfolgung.
    Hab keine Angst, hatte der Diener gesagt.
    Sie hoffte, dass er langsam an ihrem giftigen Blut verreckte, zusammen mit seinem Herrn. Kein Mitleid mehr, nicht einmal leises Bedauern. Hass mischte sich in ihre Panik, darüber, dass sie ihr das angetan hatten; sie hier herabgeschickt hatten, gegen ihren Willen, so wie der Kalif in Kauf genommen hatte, dass ganz Bagdad sie jagen würde, wenn erst bekannt wurde, woran er gestorben war. Niemand hatte sie gefragt. Wie schon ihr ganzes Leben lang. Vorwärtsgestoßen von anderen, immer weiter, nicht anhalten, nicht nachdenken.
    Sie blieb stehen.
    Es war ganz einfach. Kostete nicht einmal Überwindung.
    Nur innehalten.
    Die Öllampe in ihrer rechten Hand flackerte hektisch auf – und beruhigte sich. Sabatea hob die linke Hand, berührte damit die Ziegelmauer. Eine solide Wand, wahrhaftiger als das, wovor sie ihr ganzes Leben davongelaufen war. Die Angst vor Kahraman – ein einziger Selbstbetrug, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Was hätte noch schlimmer sein können als das, was er ihr angetan hatte? Die Angst vor den Folgen einer falschen Entscheidung – na und? Sie hatte sich nicht mehr vor Strafe gefürchtet, seit sie ein Kind gewesen war. Warum also lief sie davon? Und warum jetzt?
    Ganz langsam drehte sie sich um.
    Ihr Herzschlag wummerte stolpernd gegen ihre Rippen. Aber die Ruhe, die sie überkam, besänftigte jetzt auch ihren Puls. Der Schweiß auf ihrer Haut kühlte ab. Das Gewicht ihrer unergründlichen Furcht sackte an ihr hinunter, wurde diffus, immer undeutlicher.
    Sie streckte den Arm mit der Öllampe aus und leuchtete in die Richtung, aus der sie gekommen war. Der Schein huschte an der Wand entlang, vertiefte und verschob das Schattenraster der Mauerfugen.
    Niemand folgte ihr. Die Sandkörner tanzten nicht mehr.
    Sie war allein. War immer allein gewesen, schon im Palast von Samarkand, wo sie ihre Mutter verloren hatte, als Alabasda sie für das Versprechen von Prunk und Sicherheit an die Alchimisten des Emirs weitergereicht hatte. Ein Leben lang hatte Sabatea sich einsam gefühlt – bis sie mit Tarik und Junis das Dschinnland durchquert hatte. Zum ersten Mal war da etwas Neues gewesen, erst eine Ahnung von Freundschaft, dann mehr.
    Das Licht der Lampe verwischte, als ihr Tränen in die Augen traten. Sie ließ den Arm sinken, setzte sich am Fuß der Mauer in den Staub und lehnte den Rücken gegen die Lehmziegel.

Weitere Kostenlose Bücher