Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
die Idee kam, das Messer zu werfen.
»Du hast meinen Bruder verletzt.« Ifranji baute sich breitbeinig unter dem Fenster auf.
»Ich hab ihn nicht mal angefasst«, entgegnete Sabatea.
»Das stimmt«, ächzte der Afrikaner, während er sich mühsam auf die Beine stemmte. Er trug ein weites Gewand, dessen bunte Stickmuster sich über seinem gewaltigen Bauch spannten. Mit beiden Händen klopfte er sich den Gassenstaub vom Leib.
Seine Schwester war klein und quirlig, sehr dünn, mit drahtig-muskulösen Armen und einem wilden Schopf aus Zöpfen, die wie schwarze Schlangen um ihr Koboldgesicht wirbelten. Ihre Augen waren auffallend groß und dunkel. Sie trug Hose und Wams aus eng anliegendem Leder und ein prall gefülltes Bündel auf dem Rücken. Mit einem Handgriff löste sie es und ließ es über die Schulter zu Boden gleiten. Metall klirrte im Inneren.
»Du hast hier nichts zu suchen«, fuhr sie Sabatea an und ließ das Messer von einer Hand in die andere springen. »Das hier ist Territorium der Schwestern der Pfauen.«
Sabatea zuckte die Achseln. »Ich verschwinde von hier, und du siehst mich niemals wieder. Reicht das?«
»Warst du unten im Turm?«
»Schon möglich.«
»Also hast du in unserem Lager gewühlt.« Der Dolch wies in Sabateas Richtung. »Was hast du gestohlen?«
Sabatea ahnte, dass Ifranji ihr kein Wort glauben würde, wenn sie die Wahrheit sagte. Trotzdem antwortete sie: »Ich habe weder etwas gesehen noch irgendwas gestohlen. Also steck dein Messer weg und lass mich gehen.«
»Zu welcher Gilde gehörst du? Zu den Schwarzen Skarabäen? Zur Kameradschaft von Kusch?« Ifranjis Blick wurde lauernd. »Wie lange wird es wohl dauern, ehe deine Freunde hier auftauchen?«
»Gilden?« Sabatea ließ das Messer nicht aus den Augen, wusste aber auch, dass sie im Fall eines Wurfs nur nach außen ausweichen konnte. In ihrem Rücken gähnte ein Abgrund von über zehn Metern Tiefe, und die Leitersprossen würde sie bei einem blinden Sprung nach hinten kaum erwischen.
»Wer sonst würde es wagen, sich mit den Schwestern der Pfauen anzulegen?« Daraus klang eine gehörige Portion Hochmut, die Sabatea zu jedem anderen Zeitpunkt amüsant gefunden hätte. Eine übermütige Diebin und ihr tollpatschiger Bruder. Nicht einmal die Bedrohung durch die Klinge konnte verhindern, dass sich ein Lachen in ihr regte.
»Ist dein Bruder auch eine« – sie runzelte demonstrativ die Stirn, – »eine Schwester?«
»Er gehört nicht zur -«
»Ich bin kein Dieb«, unterbrach der Dicke sie. »Nicht oft, jedenfalls. Wenn du keinem verrätst, was du gesehen hast, lassen wir dich laufen.«
Ifranji starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. »Tun wir nicht!«, zischte sie leise, aber Sabatea hörte es trotzdem.
»Warum nicht?«, gab er zurück.
»Weil wir… weil wir eben Gesetzlose sind. Sie macht uns nur Ärger.«
»Aber sie tut doch gar nichts!«
Ifranji klatschte ihrem Bruder mit der flachen Hand vor die Stirn – »Gemein!«, murmelte er dumpf – und wandte sich wieder Sabatea zu. Mit erhobenem Messer näherte sie sich dem Fenster. »Du glaubst doch nicht, dass du da oben vor mir sicher bist?«
Sabatea konnte Ifranji nicht einschätzen, angefangen bei ihrem Alter – irgendwo zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig – bis hin zum Grad ihrer Gefährlichkeit. Mit der gezahnten Klinge jedenfalls war nicht zu spaßen, ganz gleich, wer sie führte.
Ihr Körper spannte sich, und sie erwog kurz, auf die Leiter zurückzuweichen. Aber dann wäre sie im Inneren des Turms gefangen gewesen, und sie fragte sich allmählich, wo wohl die übrigen Schwestern der Pfauen stecken mochten. Wenn sie erst hier auftauchten, hatte sie keine Chance. Zudem wusste sie nicht, ob nicht bereits Soldaten aus dem Palast ihrer Fährte durch die Unterwelt bis hierher gefolgt waren.
Sie täuschte den Rückzug nur an, wartete auf das triumphierende Lächeln auf Ifranjis Zügen – und machte dann einen waghalsigen Sprung nach vorn, über die verdutzte Diebin hinweg.
Noch in der Luft spürte sie, dass sie keineswegs so elegant auf beiden Füßen landen würde, wie sie sich das erhofft hatte. Stattdessen kam sie erst mit dem einen Bein, dann mit dem anderen auf, verlor das Gleichgewicht und wurde vom eigenen Schwung nach vorn geschleudert.
Dort stand Ifranjis Bruder.
Sabatea stieß einen Schrei aus, ihr Fuß knickte um, dann flog sie auch schon mit Gesicht und Schulter gegen den riesigen Bauch des Schwarzen, prallte ab und stürzte hinterrücks in den
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