Sturmtief
Sie
nicht.« Dann machte er plötzlich ein paar Ausfallschritte in Richtung des
Ausgangs.
Lüder glaubte, die Absicht des Mannes zu durchschauen.
Eisenberg wollte über die Brücke Richtung Bahnhof fliehen. Er hoffte, im
Gewusel des Bahngebäudes entkommen zu können. Dabei übersah er aber, dass Kiel
keine Weltmetropole war und der Bahnhof gemessen an anderen Städten ein eher
bescheidenes Verkehrsaufkommen aufwies. Entsprechend überschaubar war die
Menschenmenge. Die Anlage würde Eisenberg keine Deckung bieten.
»Was ist da los?«, rief eine aufgeregte Männerstimme
vom Fuß der Rolltreppe herauf. »Ich bin vom Sicherheitsdienst des Centers. Ich
komme jetzt rauf.«
»Sie bleiben, wo Sie sind«, schrie Lüder zurück. »Ich
bin von der Polizei. Sorgen Sie dafür, dass sich die Leute zurückziehen.«
»Warum?«, fragte der Angestellte zurück.
»Tun Sie’s einfach«, erwiderte Lüder.
Von außen waren jetzt die auf- und abschwellenden Töne
der Martinshörner von sich nähernden Streifenwagen zu hören. Auch Eisenberg
hatte es wahrgenommen. Er wusste, dass ihm keine Zeit zur Flucht mehr blieb.
Noch einmal sah er sich um. Lüder ahnte, wie es in dem Mann arbeitete und
welche Alternativen er für sich sah. Lüder bemerkte, wie der Israeli seine
Muskeln anspannte. Er stand wie die straff gezogene Sehne eines Bogens. Dann
krümmte sich Eisenberg unmerklich zusammen, als würde er im Startblock eines
Hundertmeterlaufs hocken und wissen, dass alles auf die Spannkraft beim
Herausschnellen ankam. In diesen Bruchteilen von Sekunden entschied sich Sieg
oder Niederlage. Plötzlich ließ Eisenberg das Kind fallen. Er setzte es nicht
ab, sondern öffnete einfach den Arm, sodass es auf die Fliesen fiel. Dann
sprintete er in Richtung Ausgang. Doch nach zwei Schritten schien er in der
Luft zu erstarren. Im Ausgang standen zwei uniformierte Bundespolizisten mit
gezückter Waffe.
»Halt!«, rief der ältere der beiden Beamten, ein
Hauptkommissar mit grauem Bart. Sein Kollege bewegte sich in Zeitlupe zur
Seite, sodass die beiden Polizisten ein unüberwindbares Hindernis darstellten.
Eisenberg wirbelte herum und richtete seine Pistole
auf den Kopf des Beamten.
»Waffe weg«, schrie er.
Lüder bewunderte den uniformierten Kollegen, der mit
keinem Wimpernschlag seine Erregung zeigte, sondern unverwandt seinerseits die
Waffe auf Eisenberg gerichtet hielt.
»Ich bin auch von der Polizei«, rief Lüder den beiden
Beamten zu und war dankbar, dass man es ihm ohne Nachweis der Legitimation
abnahm.
»Okay«, antwortete der zweite Beamte, der sich jetzt
ein Stück von seinem Streifenkollegen entfernt hatte, während der ältere sich
durch nichts in seiner auf Eisenberg gerichteten Konzentration ablenken ließ.
»Waffe weg und Weg frei«, schrie Eisenberg.
Das Kind lag jetzt drei Schritte von Eisenberg
entfernt auf dem Boden. Offenbar hatte es sich beim Sturz auf die Fliesen nicht
verletzt, stellte Lüder mit Erleichterung fest. Die von Eisenberg ausgehende
Gefahr war für die Geisel nicht mehr so groß, da der Israeli die Waffe auf den
Polizeibeamten gerichtet hatte.
Lüder konnte es riskieren und zückte seine Pistole.
»Hände hoch«, rief er. »Geben Sie auf, Eisenberg. Hier
kommen Sie nicht heraus. Denken Sie an Ihre Auftraggeber. Die sind sicher nicht
daran interessiert, dass Sie hier ein Blutbad anrichten.«
»Mich kriegt ihr nicht, ihr Schweine«, schrie
Eisenberg hysterisch. An der Wortwahl erkannte Lüder, unter welchem Druck der
Mann stand.
Plötzlich riss Eisenberg seine Pistole hoch, steckte
sie in den Mund und drückte ab. Mit einem lauten Krachen fuhr das Geschoss,
nachdem es auf der Rückseite des Kopfes wieder ausgetreten war, in das
Sicherheitsglas, schlug ein Loch hinein, ohne die Scheibe zu durchdringen, und
sirrte dann davon.
Eisenbergs Körper schien sich für den Bruchteil eines
Herzschlags in die Höhe zu heben, dann krachte er gegen das Glas, als hätte ihn
jemand mit Anlauf dagegengestoßen. Die Scheibe vibrierte, hielt aber stand. In
Zeitlupe rutschte der Körper abwärts, bis er fast zum Sitzen kam. Dann kippte
Eisenberg zur Seite und blieb in einer unnatürlichen Haltung liegen.
Lüder sprang auf das Kind zu, das immer noch am Boden
hockte, nahm es auf den Arm und drehte sich vom Toten weg. Auch das Kleine war
ein Opfer dieser internationalen Verflechtung geworden, die schon eine Reihe
von Menschenleben gefordert hatte. Ob irgendjemand der Verantwortlichen an
dieses Kind und die Folgen des heute
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