Sturmtief
in Bruchteilen von Sekunden ab.
Lüder erstarrte inmitten der Bewegung, nachdem auch er
das Ende der Rolltreppe erreicht hatte. Die drei Frauen waren zurückgewichen,
und die Mutter, den Griff des Buggys umklammernd, stieß einen verzweifelten
Schrei aus.
Eisenberg warf Lüder einen hastigen Blick zu. Seine
Augen flackerten. Das war ein Zeichen höchster Anspannung, eine extreme
Stresssituation. Dann sah sich der Israeli nach allen Seiten um.
Lüder hob beide Arme. »Bleiben Sie ruhig«, sagte er in
beschwichtigender Tonlage. »Ganz ruhig.« Es kam darauf an, deeskalierend zu
wirken.
»Gehen Sie!«, forderte Eisenberg Lüder auf und wedelte
dabei mit der Pistole. Dann schrie er das Kind auf seinem Arm an, das mit den
Füßen strampelte, die Arme ausstreckte und zu seiner Mutter wollte. Die konnte
Lüder nur mit Mühe zurückhalten.
»Mich bekommen Sie nicht«, rief Eisenberg und bewegte
sich langsam in Richtung des Seitengangs, der zur Brücke über die
Hauptverkehrsstraße Richtung Bahnhof führte.
»Lassen Sie das Kind frei!«, forderte Lüder den Mann
auf. »Nehmen Sie mich als Geisel.«
»Nix da.« Erneut wedelte Eisenberg mit seiner Waffe,
dann zielte er auf Lüder.
Entsetzensschreie gellten durch die Passage. Der Ring
von Zuschauern, der sich herangedrängt hatte, wollte zurückweichen, wurde aber
durch die nachdrängenden Neugierigen daran gehindert.
Lüder warf einen Blick über die Schulter. »Ziehen Sie
sich zurück«, raunte er den drei alten Damen zu, die schreckensstarr stehen
geblieben waren. »Nicht dahin«, forderte er eine der Frauen auf, die sich
ausgerechnet in Eisenbergs Richtung davonschleichen wollte. Zumindest hinderte
der Mann die Frauen nicht, aus dem Schussfeld zu gelangen. »Bringen Sie sich
und Ihr Kind in Sicherheit«, sagte er dann der Mutter, die immer noch neben ihm
stand.
Die Frau stand kreidebleich da und hielt sich die Hand
vor den Mund. Es sah aus, als würden ihr gleich die Beine wegsacken. Aus dem
Kreis der Gaffer löste sich ein Mann in einem blauen Monteuranzug, unter dem
sich ein mächtiger Bauch wölbte. Er legte seine ölverschmierten großen Pranken
um die Schulter der Frau und führte sie mit leichtem Druck zur Seite.
»Kommen Sie«, sagte er mit sanfter Stimme.
Lüder stand jetzt allein am Ende der Rolltreppe. Er
bewegte seine Hand hinter seinem Rücken und forderte die Leute auf, sich
zurückzuziehen. Der Helfer im Monteuranzug erwies sich auch hier als hilfreich.
So sanft er auf die Mutter eingewirkt hatte, so kräftig blaffte er die
Uneinsichtigen an, die sich mit deutlich vernehmbarem Murren zurückdrängen
ließen.
Endlich hatte Lüder den Rücken frei. Er war sich nicht
sicher, wie Eisenberg reagieren würde. Der Israeli war kein blindwütiger
Mörder, der wild um sich schießen und ein Blutbad unter Unbeteiligten in Kauf
nehmen würde. Andererseits war er in die Enge getrieben und suchte verzweifelt
nach einem Ausweg. Nach dem, was Lüder über den Mann durch das Gespräch hatte
in Erfahrung bringen können, durfte Eisenberg nicht aufgeben und schon gar
nicht in die Hände der Polizei fallen.
»Lassen Sie das Kind frei«, sagte Lüder und machte
einen vorsichtigen Schritt auf Eisenberg zu.
Statt einer Antwort zielte der auf Lüder und drückte
ab. Lüder meinte, den Luftzug des Geschosses zu spüren, das knapp an ihm
vorbeiflog und klirrend in eine Schaufensterscheibe in seinem Rücken fuhr. Die
Aktion hatte den positiven Effekt, dass die Neugierigen endlich den Ernst der
Lage begriffen und mit Geschrei auseinanderstoben.
Lüder atmete für einen Moment erleichtert durch. Damit
hatte sich die Gefahr für Unbeteiligte minimiert.
Eisenberg sah sich erneut gehetzt um, während Lüder
überlegte, ob er seine Waffe aus dem Schulterhalfter ziehen sollte. Er
entschied sich dagegen. Der Israeli hätte das als Bedrohung missverstehen
können und vielleicht sofort geschossen. Das Risiko wollte Lüder nicht eingehen.
Noch hielt der Mann das Kind als Geisel fest an sich gepresst. Und auch das
eigene Leben wollte Lüder nicht riskieren.
»Eisenberg«, rief er dem Mann zu. »Sie kommen hier
nicht heraus. Weder aus dem Einkaufszentrum noch aus Deutschland. Was soll’s?
Alles, was Sie glauben, lohnt nicht für das, was Sie aufs Spiel setzen. Es gibt
in Deutschland eine faire Justiz. Die wird alle Umstände, die für Sie sprechen,
berücksichtigen.«
Erneut zielte Eisenberg auf Lüder, drückte aber nicht
ab.
»Schweigen Sie«, schrie er zurück. »Mich kriegen
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