Sturmtief
Erlebten denken würde, die dieses Wesen
möglicherweise sein ganzes Leben verfolgen würden?
Lüder vermied es, noch einmal auf Eisenberg zu sehen.
Was hatte er ihm vor wenigen Minuten gesagt, als er von der Hinrichtung des
Auftragsmörders Dionysios Proastiakós sprach? Profis in diesem Geschäft wissen,
wann ihre Lage ausweglos ist, und akzeptieren das Ende.
»Wann haben Sie eigentlich Urlaub?«, hatte
Hauptkommissar Vollmers Lüder gefragt.
»Warum?«
»Dann können wir endlich auch einmal ein wenig
verschnaufen. Wo Sie in den letzten Tagen aufkreuzen, pflastern Leichen Ihren
Weg.« Dann hatte sich der Leiter der Kieler Mordkommission mit seinen
Mitarbeitern an die Routinearbeiten im Sophienhof begeben. Lüder hatte noch ein
paar Worte mit den beiden Bundespolizisten gewechselt und war anschließend ins
Landeskriminalamt zurückgekehrt. Die aufwendigen Arbeiten am Tatort würden die
Fachleute vornehmen. Seine Anwesenheit war nicht erforderlich.
In seinem Büro fand er den Hotelschlüssel vor, den man
bei Dionysios Proastiakós gefunden und den ein Bote von Lübeck nach Kiel
gebracht hatte.
Lüder kramte die Liste mit möglichen Hotels hervor,
die er aufgestellt hatte, nachdem sich der Auftragsmörder zuletzt aus dem Raum
Schleswig telefonisch gemeldet hatte. Er entschloss sich, die einzelnen
Stationen abzufahren und zu prüfen, ob der Zyprer möglicherweise in einem der
Häuser logiert hatte. Er fuhr über die Holtenauer Hochbrücke nach Eckernförde,
wo alles mit dem Mord an Robert Havenstein begonnen hatte, und passierte die
Kasernenanlagen, kam an der Abzweigung zum bekannten Internat Louisenlund
vorbei und verließ die Bundesstraße beim ersten Hinweis auf »Fahrdorf«.
Der kleine Ort kuschelte sich zwischen der
Bundesstraße und dem Südufer der Schlei, gegenüber der historischen
Fischersiedlung Holm, in die Landschaft. Auf Lüder wirkte es so, als würde
Fahrdorf nur aus einer einzigen Straße bestehen, die sich in Windungen
scheinbar endlos dahinzog, dabei auch mit kleinen Steigungen überraschte. Seine
erste Adresse lag auf der linken Seite. Der schmucklose Neubau lag quer zur
Straße.
Statt einer Rezeption fand Lüder einen Zettel mit
einer auswärtigen Telefonnummer vor. Anreisende Gäste wurden gebeten, sich dort
zu melden. Lüder erachtete es als nicht sehr kundenfreundlich, dass unterstellt
wurde, dass grundsätzlich jeder mit einem Mobiltelefon unterwegs war. Neben dem
Eingang war eine Art Safe mit nummerierten kleinen Fächern, darüber ein Pad zur
Eingabe von Codenummern. Vermutlich erhielt der Neuankömmling telefonisch einen
Code genannt, mit dem er das Fach öffnen und seinen Hotelschlüssel dem Safe
entnehmen konnte.
Diese Verfahrensweise bot aber auch unredlichen Leuten
die Möglichkeit, sich eine Übernachtung zu erschleichen, indem sie am Telefon
falsche Angaben zu ihrer Person machten. Das war das Risiko des Hoteliers,
dachte Lüder, der durch dieses »Automatenhotel« zulasten des persönlichen
Services seine Kosten minimieren wollte. Hier galten die Begriffe »Gast« und
»Gastgeber« nicht mehr.
Lüder probierte den Schlüssel, den die Lübecker bei
dem Auftragsmörder gefunden hatten. Er hatte Glück. Die Tür ließ sich öffnen.
Links fand er den verwaisten Tresen der Rezeption, ein paar Schritte weiter die
Zimmertür, zu der laut Aufdruck der Schlüssel passen sollte. Auch hier war ihm
das Glück hold.
Das Zimmer war aufgeräumt und ebenso sauber wie
Eingangsbereich und Flur. Das Doppelbett war gemacht, das kleine Bad gereinigt.
Über dem Stuhl lag eine sorgfältig gefaltete Hose, darüber ein Pullover.
Nachdem Lüder beim ersten Blick ins Bad nur die Dinge
entdecken konnte, die ein allein reisender Mann bei sich zu führen pflegt, galt
seine Aufmerksamkeit zunächst den Schränken. Die Schubladen waren leer. Im
Kleiderschrank fand Lüder zwei unbenutzte Oberhemden, ein Sakko und eine
weitere dunkelgraue Stoffhose. Er untersuchte den Inhalt der Taschen. Sie waren
bis auf ein benutztes Papiertaschentuch leer.
Dann widmete er sich der Reisetasche, die auf der
Kofferbank stand. In einem Wäschebeutel fand Lüder zwei Garnituren schmutziger
Unterwäsche sowie zwei Paar gebrauchte Socken. Das ließ Rückschlüsse auf
Proastiakós’ Aufenthalt zu. Wenn der Mann seit zwei Tagen unterwegs war, hatte
er sich nach dem Mord an Havenstein vermutlich nach Zypern begeben und war dann
erneut nach Ostholstein eingereist.
Lüder fand eine noch unbenutzte Garnitur. Der Mörder
hatte
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