Sturmtief
sich vor
meinen Augen selbst gerichtet hat, um seine Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen.
Darum wollte sich Dov Eisenberg um jeden Preis der Verhaftung entziehen.«
Hauptkommissar Vollmers räusperte sich. »Der Tote
schien eine gespaltene Persönlichkeit gewesen zu sein. Wir haben bei ihm noch
einen zweiten Pass gefunden. Danach heißt er – auch! «, und das
überbetonte Vollmers, »Chaim David Cohen und ist einundfünfzig Jahre alt.«
»Dafür hat er sich gut gehalten«, sagte Lüder mehr zu
sich selbst. »Und welcher Pass ist echt?«
Für einen Augenblick schwieg der Hauptkommissar.
»Beide«, sagte er schließlich.
Das kann nicht sein, wollte Lüder antworten, unterdrückte
es aber. Vollmers hatte vermutlich recht. Dafür bat er den Leiter des Kieler
K1, die Spurensicherung in das Hotel nach Fahrdorf zu schicken.
»Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?«, fragte
Vollmers. »Die Kollegen sind gerade an einem Tatort in Kiel beschäftigt. So
schnell, wie Sie neue Leichen besorgen, kommen wir nicht nach.« Dann versprach
er aber, sich darum zu kümmern.
Nach dem Telefonat rief Lüder die israelische
Botschaft in Berlin an und ließ sich zu dem Gesprächspartner durchstellen, der
sich neulich sehr reserviert verhalten hatte, als Lüder ihn vom Tod der
Staatsbürgerin Hannah Eisenberg unterrichtet hatte.
»Lüders, Polizei Kiel. Wir haben vor Kurzem
miteinander gesprochen. Erinnern Sie sich?«
Der Botschaftsangehörige bestätigte es mit einem Knurrlaut.
»Ich fürchte, ich habe erneut eine schlechte Nachricht
für Sie.« Lüder legte eine Pause ein. »Es gibt erneut einen toten Bürger Ihres
Landes.« Lüder legte eine weitere Pause ein, aber der Gesprächspartner schwieg.
»Chaim David Cohen«, sagte Lüder.
Er glaubte zu hören, wie dem unsichtbaren Teilnehmer
am anderen Ende der Leitung der Schrecken in die Glieder fuhr.
»Ist gut«, sagte der Mann knapp und legte auf, ohne
weitere Fragen zu stellen.
Lüder reichte es für heute. Der Tag war ereignisreich
genug gewesen. Sein Telefon meldete sich. Eine Rufnummer wurde nicht angezeigt.
»Lüders.«
»Herr Dr. Lüders«, meldete sich die sonore Bassstimme
des Ministerpräsidenten, der es vermied, seinen Namen zu nennen. »Ich habe
Kenntnis von den Vorfällen im Sophienhof erhalten und bin besorgt über die
Geschehnisse. Radio und Fernsehen berichten pausenlos darüber. Ich möchte mich
aus erster Hand darüber informieren. Authentisch. Können Sie in einer
Viertelstunde in der Staatskanzlei sein?«
»Das ist nicht möglich. Ich befinde mich derzeit bei
Ermittlungen an einem Tatort an der Schlei.«
»Sie wollen nicht sagen, dass es erneut einen
Todesfall gibt?« Aus der Stimme des Regierungschefs war Besorgnis zu hören.
»Nein, aber es steht in unmittelbarem Zusammenhang mit
den Vorfällen der jüngsten Zeit.«
»Wo ist das an der Schlei?«
Lüder beschrieb es.
»Gut«, entschied er Ministerpräsident kurz
entschlossen. »Ich muss ohnehin in meine alte Heimat. Das liegt fast auf dem
Weg. Wir treffen uns in einem Lokal in Fahrdorf. Mir ist der Name entfallen,
aber dort gibt es eine hervorragende gutbürgerliche Küche.«
Lüder hatte keine Gelegenheit zu widersprechen, weil
der Ministerpräsident aufgelegt hatte. Während des einen Jahres beim
Personenschutz hatte Lüder ein paar Mal Gelegenheit gehabt, den ersten Bürger
des Landes zu dessen Wohnsitz auf der grünen Halbinsel zu begleiten. Das
repräsentative Anwesen mit dem hohen Zaun und den Überwachungskameras, auf dem
er auch geboren war, nutzte der Regierungschef gern, um zu entspannen.
Manches Mal hatten die beiden Männer im gepflegten
Garten gestanden, und der Politiker hatte träumerisch seinen Blick schweifen
lassen. »Vieles habe ich selbst gepflanzt«, hatte er erklärt und durchgeatmet,
wenn sein Blick über die Weite des Koogs glitt und irgendwo am fernen Deich
haften blieb. Lüder verstand ihn, nachdem er selbst gespürt hatte, wie frei man
dort atmen konnte. Nicht umsonst war dieser Ort das Tor des Weltnaturerbes
Wattenmeer. Hier ließ es sich leben.
Der knorrige Alte, wie man ihn auch nannte, hatte sich
seine Volkstümlichkeit bewahrt. Lästerer warfen ihm vor, dass er jedes neue
Ferkel, das in seinem Bundesland geboren wurde, am liebsten persönlich begrüßen
würde, seine Bewunderer schätzten aber gerade diese Verbundenheit mit Land und
Menschen. So war Lüder nicht überrascht, dass der Ministerpräsident, der als
Freund der bodenständigen Küche bekannt war, in
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