Sturmtief
Sie wirklich so gut sind, wie Sie das in einer
offensichtlichen Selbstüberschätzung glauben, dürfte die zweite Alternative
eine gute Nachricht sein. Sie könnten im Innenministerium Karriere machen, die
Ihnen aufgrund vergangener Vorkommnisse in der Polizei versagt ist.«
Lüder wusste, dass Dr. Starke selbst in eine
herausragende Position drängte, da er in der Landespolizei nicht weiter
aufsteigen konnte. Im schlimmsten Fall würde Lüder diesem Despoten im
Innenministerium wieder begegnen. Das war alles andere als erstrebenswert.
»Soll das eine Drohung sein?«, fragte Lüder.
»Drohungen und Erpressung sind Ihr Metier«, erwiderte
Dr. Starke vielsagend. »Sie missverstehen mich. Ich möchte Sie fördern. Im
Landesamt für Ausländerangelegenheiten ist eine Position frei. Dort würde man
die Mitarbeit eines findigen Juristen begrüßen. Außerdem würde sich Ihre Frau
darüber freuen, wenn Sie nicht mehr in gefährliche Situationen geraten würden.
Lebensgefährliche!«, betonte Dr. Starke. Dann fasste er sich an den Kopf, als
wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. »Ach ja, richtig. Sie sind ja gar nicht
verheiratet, sondern leben in wilder Ehe.«
Lüder stand auf. An der Tür drehte er sich noch einmal
um. »Ach«, äffte er Dr. Starke nach und fasste sich übertrieben an den Kopf.
»Mir ist auch etwas eingefallen. Wissen Sie, was der spätere Außenminister
Joschka Fischer 1984 zum Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen gesagt
hat?«
Der Kriminaldirektor sah Lüder ratlos an.
»Mit Verlaub: Sie sind ein Arschloch.«
In seinem Büro hatte Lüder den Eindruck, der Kaffee
würde heute besonders gut schmecken. Fast vergnügt rief er Vollmers an, dessen
Apparat zum Handy durchgeschaltet war.
»Wir sind auf den Weg nach Oldenburg«, sagte der
Hauptkommissar. Er sprach laut, weil Fahrgeräusche die Qualität der Verbindung
erheblich beeinträchtigten.
Lüder zeigte sich überrascht. »Sie wildern in fremden
Gewässern?«
»Mein Kollege aus Lübeck hat mich verständigt. Das
sind die Vorzüge eines Bundeslandes mit überschaubarer Größe. Da klappt auch
die Information untereinander.«
»Wir sind eben eine große Familie«, sagte Lüder und
musste still in sich hineinlächeln, als er an Dr. Starke dachte. »Allerdings
gibt es auch in den besten Familien manchmal Auseinandersetzungen.«
»Das K1 und das K6 von der BKI aus Lübeck sind von der KPAS t
angefordert worden, nachdem die Oldenburger schon den ersten Angriff ausgeführt
haben.«
Lüder lachte. »Wenn uns jemand zuhört – wir mit
unseren Abkürzungen –, dann würde der nur den Kopf schütteln.«
»Haben Sie etwas nicht verstanden?«, fragte Vollmers.
»Doch. Wollen Sie es in Langschrift hören? Die
Kommissariate 1 und 6 der Bezirkskriminalinspektion sind von der
Kriminalpolizeiaußenstelle angefordert worden, nachdem die Oldenburger die
ersten Maßnahmen ergriffen hatten. Also die Mordkommission und die
Kriminaltechnik. Das heißt, es liegt ein Tötungsdelikt vor. Wenn Sie von den
eigentlich zuständigen Lübeckern angefordert werden, gibt es dafür einen
triftigen Grund.«
»Es hängt mit unserem Mord in Eckernförde zusammen.«
Lüder erschrak. »Wenn Sie sich so sicher sind, habe
ich einen schlimmen Verdacht.«
»Das ist zutreffend«, bestätigte Vollmers, aus dessen
Stimme alle Heiterkeit gewichen war. »Die bei der Toten gefundenen Papiere
weisen sie als Hannah Eisenberg aus. Die Frau wurde erschossen, und zwar nach
dem gleichen Muster wie Robert Havenstein. Zwei Schüsse. Der erste in den
Brustbereich, etwa ins Herz. Der zweite Schuss wurde gezielt auf den Kopf
abgegeben.«
»Was konnte über die verwendete Munition festgestellt
werden?«
»Bisher haben die Kollegen vor Ort noch keine
Patronenhülsen gefunden. Sie suchen noch. Nun löchern Sie mich bitte nicht mit
weiteren Fragen. Mehr weiß ich auch noch nicht.«
Lüder überlegte einen Moment, ob er auch zum Tatort
fahren sollte. Er entschied sich dagegen. Es waren viele Experten vor Ort. Er
würde nichts ausrichten können und nur im Wege stehen.
Hannah Eisenberg war tot. Vermutlich vom selben Täter
erschossen worden. Hatte die Journalistin sterben müssen, weil sie Robert
Havensteins Geheimnis teilte? Die bisherigen vagen Informationen deuteten
darauf hin, dass die Israelin Havenstein bei seinen Recherchetouren – zumindest
gelegentlich – begleitet hatte. Lüder fiel wieder das Bild mit der
Fabrikzufahrt ein. Er holte sich die Fotografie, die ihm Vollmers
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