Sturmtief
gekriegt.«
»Wie sah der Mann aus?«, fragte Lüder und lauschte
aufmerksam Jonas’ Schilderung, bis es ihm siedend heiß über den Rücken fuhr.
»Komm mit«, forderte er seinen Sohn auf, schaltete sein Notebook an und zeigte
Jonas ein Bild.
»Das ist er«, bestätigte Jonas. »Nur über dem rechten
Auge, da hatte er eine Narbe. Was ist mit dem?«
Lüder wollte und konnte Jonas nicht erklären, dass der
Junge dem Mörder von Robert Havenstein begegnet war.
»Wie hat der Mann gesprochen?«
»Na, so komisch«, erklärte er Lüder. Mehr war aus
Jonas nicht herauszuholen. Auch Thorolf konnte nichts ergänzen. Der Große
zeigte mehr Betroffenheit, als Lüder beiden Jungen einen Vortrag über die
Annahme von Geschenken durch Dritte hielt.
Margit war dem Ganzen schweigend gefolgt. Als die
beiden Erwachsenen allein waren, sagte sie: »Was wird hier gespielt? Ist es
gefährlich? Mich hat heute jemand angerufen und um unsere Kontonummer gebeten,
weil wir angeblich bei einem Preisausschreiben gewonnen haben. Natürlich habe
ich keine Auskunft gegeben, zumal der Anruf anonym erfolgte und die Rufnummer
unterdrückt war. Nun weiß ich, dass Firmen seit einiger Zeit nicht mehr anonym
anrufen dürfen. Das ist verboten.«
Lüder stimmte ihr zu. Wenigstens ein Mitglied der
Familie hatte korrekt gehandelt, denn selbst Viveka, die dem Spender nicht
begegnet war, hatte unterschwellig Klage geführt, dass sie leer ausgegangen
war.
Lüder unterließ es, Margit einzuweihen. War es ein
Bestechungsversuch, oder wollte der Täter Lüder damit demonstrieren, dass er
ihn und die Familie kannte?
VIER
Edgar Süssert hatte die Regenjacke am Kragen hoch
geschlossen und die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen. Ihm war der Gang mit
dem Hund vertraut. Mehrmals täglich forderte der weiße Golden Retriever Leo
sein Recht auf den Gang ins Freie. »Ein Hund ist eine gute Sache«, pflegte
Süssert stets zu sagen. »Man bleibt in Bewegung.« An einem Morgen wie diesem
hätte er sich aber lieber Fische im Aquarium als Haustiere gewünscht. Es hatte
in der Nacht angefangen zu regnen.
»Du musst los, Edgar«, hatte seine Frau gedrängt,
nachdem sich Herrchen und Hund beim Blick aus dem Fenster zunächst beharrlich
zu weigern schienen, den Fuß vor die Tür zu setzen.
Edgar Süsserts morgendlicher Gang war ein Ritual. Auch
der Regen konnte den hochgewachsenen schlanken Rentner nicht davon abbringen,
den See, an dessen Ufern das weit über die Grenzen der Region bekannte
Wallmuseum lag, zu umrunden. Missmutig sah Süssert dem Hund hinterher, der
trotz des schlechten Wetters hier schnupperte, dort seine Duftmarke absetzte
und an jedem Grasbüschel etwas Interessantes zu entdecken schien.
Inmitten des Sees lag die Heilige Insel, in deren
Mitte sich eine hölzerne Statue des Gottes Svantovit befand und die nach der
Überlieferung nur von slawischen Priestern betreten werden durfte. Ob Gottheiten
auch der Regen stört, überlegte Süssert und überquerte die hölzerne Brücke, an
der sich ein Flechtzaun anschloss.
Er fluchte unbotmäßig, als er auf dem unbefestigten
Weg einer Pfütze auswich und dabei unbeabsichtigt in die nächste trat, die sich
als tieferes Loch erwies. »Leo«, ließ er seinen Ärger am Hund aus, doch der war
vorausgelaufen und verschwand durch einen Spalt in der Toreinfahrt.
Süssert war erstaunt. Um diese Jahreszeit und zu
dieser Stunde war die Museumsanlage normalerweise geschlossen. Noch einmal rief
er seinem Hund hinterher, aber das Tier blieb verschwunden. Der Mann schlüpfte
durch den Spalt und wunderte sich, dass das Vorhängeschloss, das das Gatter
sicherte, aufgebrochen war.
Er vermutete, dass Jugendliche sich am Vorabend auf
dem Gelände vergnügt hatten. Jetzt war nichts zu sehen. Weder am kleinen
Häuschen an der Toreinfahrt noch am großen Fachwerkhaus zur Linken konnte er
etwas entdecken. Süssert zögerte. War Leo geradeaus in Richtung des
Museumshofes gelaufen, der als Restaurant diente, oder nach rechts, am alten
Backhaus vorbei, zum Steg hinunter, der in den See hinaus gebaut und auf dem
eine slawische Hüttensiedlung nachgebildet worden war? Nachdem er noch einmal
den Namen des Tieres gerufen hatte, sah er das weiße Fell unruhig etwas
umkreisen, das auf den Holzbohlen zwischen zwei Hütten lag. Der Hund hatte sein
Herrchen wahrgenommen und bellte aufgeregt, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Süssert näherte sich dem Steg. Auch hier war das
Schloss, das die aus groben Ästen gezimmerte Pforte
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