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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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versperrte, zerstört
worden. Am Ufer, ein paar Meter weiter, reckten dünne Ruten, die aus den
beschnittenen Köpfen der Weiden emporwuchsen, sich gegen den trüben Himmel, aus
dem es unablässig regnete. Unter Süsserts Stiefeln knarrte das Holz der Brücke.
Dann blieb der Mann stehen und starrte auf das Bündel, das dort lag.
    Arme und Beine waren eigentümlich wie bei einer
Gliederpuppe verrenkt. Das Becken lag seitlich auf der Hüfte auf, während der
Oberkörper verdreht war und die beiden Schultern die Bohlen berührten, so als
würde der Mensch dort nur ausruhen. Mit vor Schreck weit geöffneten Augen
starrte Süssert auf den dunklen Fleck, der sich auf dem dunklen
Wildlederblouson in Höhe des Herzens abzeichnete. Auch der Laie konnte
erkennen, dass er einem Toten gegenüberstand.
    Während der Hund winselnd um den Toten herumschlich,
war Süssert stocksteif vor Schreck. Entsetzen keimte in ihm auf. Es war ein
Unterschied, ob man von Gräueltaten hörte, schaurige Bilder in Fernsehen und
Zeitung sah oder direkt damit konfrontiert wurde. Vorsichtig sah er sich um.
Auf dem See kräuselte sich das Wasser von den winzigen Fontänen, die die
Regentropfen verursachten. Der Wind fuhr raschelnd ins Reet der Dächer und
zwischen die groben Planken der Hütten. Das hochgewachsene Ufergras wogte und
bog sich und wich elastisch den Böen aus. Nirgends konnte Süssert einen
Menschen entdecken. Jetzt schien sogar von den nahen Kopfweiden eine Bedrohung
auszugehen. Edgar Süssert taumelte rückwärts und tastete nach dem Geländer, das
er hinter sich wähnte. Dabei vergaß er, dass nicht der ganze Steg gesichert,
sondern ein Stück ausgespart war, an dem im Sommer die »Starigard« lag, der
Nachbau eines slawischen Schiffes, das nach dem alten Namen Oldenburgs benannt
war. Fast wäre er ins Wasser gefallen, fing sich im letzten Moment noch ab und
ging dann mit raschem Schritt von der Brücke zum kopfsteingepflasterten
Museumshof. Erst hinter der Ecke einer Langscheune stoppte er, sah sich noch
einmal um, holte tief Luft und angelte nach seinem Handy. Mit zittrigen Fingern
wählte er den Polizeinotruf und erklärte dem Beamten am anderen Ende der
Leitung, dass auf dem Steg im Oldenburger Wallmuseum eine Leiche lag.
»Erschossen«, fügte Süssert atemlos an.
    * * *
    Jonas gönnte seinem Vater nicht einen Blick. Thorolf
hatte immerhin ein gequältes »Hi« herausgequetscht. Viveka war noch irgendwo im
Haus damit beschäftigt, ihre Utensilien zusammenzusuchen. Nur Sinje grollte
ihrem Vater nicht, weil er am Vorabend die iPods eingesammelt hatte.
    »Wer ist das?«, fragte Margit, auf die die gereizte
Stimmung abzufärben schien, als das Telefon klingelte.
    »Dreesen«, meldete sie sich. »Ich kann Sie schlecht
verstehen«, sagte sie kurz darauf, bis sie den Hörer an Lüder weitergab. »Das
ist der Mann, der mich gestern wegen des angeblichen Gewinns beim
Preisausschreiben angerufen hat.« Lüder übernahm den Hörer.
    »Wie viel verdient ein Polizist?«, fragte der Anrufer
direkt, als Lüder sich gemeldet hatte. »Nicht so viel, dass er seinen Kindern
alle Wünsche erfüllen kann. Und für Sie und Ihre Frau wäre ein kleines Zubrot
doch auch ganz angenehm.«
    »Wer sind Sie?«, fragte Lüder den Mann mit der
fremdländisch klingenden Stimme und versuchte herauszuhören, woher der Anrufer
stammen könnte. Es klang jedenfalls nicht nach einer osteuropäischen Sprache.
Auch nicht italienisch oder französisch.
    Als Antwort erhielt er ein kehliges Lachen. »Das war
eine dumme Frage. Sie erwarten doch keine Antwort, oder? Ich möchte Ihnen nur
etwas Gutes zukommen lassen.«
    »Wollen Sie mich oder meine Kinder bedrohen?«, fragte
Lüder scharf zurück.
    »Aber, aber«, antwortete der Anrufer. »Sie machen doch
nur Ihren Job. So wie ich meinen. Also? Möchten Sie ein kleines Zubrot? Sagt
man so – Zubrot? Sie müssen sich nicht schämen. Ein Kollege von Ihnen hat sich
nicht geziert, die mageren Polizeibezüge aufzubessern.«
    »Was verlangen Sie dafür?«
    »Das werden Sie selbst wissen. Sie sind nicht dumm,
Herr Lüders.«
    »Das Geld aus Ihrer Tasche fließt in die Staatstasche,
wenn ich Sie erwische«, sagte Lüder in drohendem Ton.
    Der Mann lachte. »Das haben schon andere nicht
geschafft. Vermutlich werden Sie mit Ihrem ganzen europäischen Spitzelapparat
wissen, wo ich überall gearbeitet habe. Machen Sie es gut.« Dann legte er auf.
    »Ich hoffe, der ruft nicht wieder an«, sagte Lüder zu
Margit, als er das Telefon an

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