Sturmtief
nach Manier der Krieger die
Hand an die Stirn und sah in Lüders Richtung. Bei diesem Wetter würde ihn die
Sonne kaum blenden.
Lüders Gedanken schweiften zu Robert Jungk und seinem
genialen Buch »Heller als tausend Sonnen« ab, in dem er sich kritisch mit der
Atomforschung auseinandersetzte. Jungk war – wie Robert Havenstein –
Journalist, von wacher Neugier und trotziger Zuversicht und hatte nicht nur als
jüdischer Emigrant, sondern auch gegen unsinnige politische Vorhaben oft
Widerstand geleistet.
Abrupt blieb Lüder stehen. Da kamen wirklich viele
Zufälle zusammen. Es war nicht nur der gleiche Vorname und der gleiche Beruf.
Auch Havenstein hatte sich für das Thema »Atom« interessiert.
Bei allen Überlegungen zu möglichen Zusammenhängen
störte nur das Auftreten des eifersüchtigen Ehemanns, der den Liebhaber seiner
Frau verfolgte. Ob der Mann bereits vom Tod seiner Frau Kenntnis erhalten
hatte? Lüder sah auf die Uhr und schlenderte gelassen in Richtung des
vereinbarten Treffpunkts zurück. Von Weitem sah er Dr. Feldkamp, der von der
anderen Seite kam. Lüder wartete vor dem Stehcafé und musste sich noch ein
wenig gedulden, weil der Arzt von einer Frau mit einer Kinderkarre aufgehalten
wurde. Er wechselte ein paar Worte mit der Mutter, beugte sich zum Nachwuchs
hinab und fuhr dem Kind sanft über den Kopf. Dann kam er Lüder entgegen, hob
zum Zeichen des Erkennens kurz die Hand und begrüßte ihn mit einem festen
Händedruck.
Lüder folgte dem Arzt in das Geschäft, schloss sich
bei der Bestellung dem Mediziner an, und kurz darauf hatten sie im Pavillon auf
Barhockern Platz genommen. Der heiße Kaffee tat bei diesem nasskalten Wetter
gut.
»Sind Sie vorangekommen?«, fragte Dr. Feldkamp und
blinzelte über den Rand des Bechers in Lüders Richtung.
»Wenn Sie glauben, eine Diagnose gefunden zu haben,
kann die Therapie noch längere Zeit in Anspruch nehmen«, wich Lüder aus.
Der Arzt presste die Lippen zusammen und nickte
leicht. »Kluge Antwort. Wie kann ich Ihnen behilflich sein – ich meine, beim
Therapieren?«
»Ich suche nach konkreten Hinweisen darauf, welchen
Geheimnissen Robert Havenstein auf der Spur war.«
»Hatte ich es nicht gesagt? Havenstein interessierte
sich für die auffällig hohe Zahl an Leukämie erkrankter Kinder.«
»Welche Anhaltspunkte hatte er zusammengetragen?«,
fragte Lüder.
Dr. Feldkamp zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich
nicht. Er hat kaum etwas erzählt, sondern nur Fragen gestellt.« Der Arzt
schloss kurz die Augen, als müsse er sich konzentrieren. »Havenstein hat
lediglich die drei Möglichkeiten erwähnt, die als Ursachen infrage kämen. Die
erste halte ich persönlich aber für ausgeschlossen.«
»Sie meinen die Variante, dass der Boden durch die
frühere Sprengstofffabrik kontaminiert ist?«, riet Lüder. Und als der Mediziner
nickte, fuhr er fort: »Immerhin hat Alfred Nobel, der hier in Geesthacht das
Dynamit erfunden hat, mit seinem Vermögen den Nobelpreis gestiftet. Man sagt,
ihn hätte das schlechte Gewissen getrieben. Wenn er vielleicht geahnt hat,
welche Folgen die Produktion für die Umwelt und Nachwelt haben würde?«
»Das glaube ich nicht. Damals gab es noch keinerlei
Umweltbewusstsein«, widersprach Dr. Feldkamp energisch. »Nobels Motivation, die
Menschheit mit dem nach ihm benannten Preis zu mahnen, hatte andere Gründe. Wer
auf dieser Variante herumreitet, will nur von anderen Möglichkeiten ablenken.«
»Von welchen?«, hakte Lüder nach.
»Entweder davon, dass es im Atomkraftwerk ein Leck
gegeben hat, das man uns verschwieg. Man muss die damalige politische Situation
bedenken. Durch die ganze Republik zogen sich engagierte Proteste gegen die
Atomkraft. Es waren nicht nur Gorleben und Brokdorf. Nennen Sie ein
Atomkraftwerk, und die Erinnerungen an den Widerstand dagegen werden wach.« Dr.
Feldkamp hatte seinen Zeigefinger gehoben und bewegte ihn hin und her, als
würde er einem kleinen Kind drohen. »Darüber hinaus gab es auch noch die
Proteste gegen die militärische Aufrüstung mit Atomwaffen.«
»Deutschland verfügt über keine atomaren Waffensysteme
oder gar Bomben.«
»Das stimmt«, pflichtete ihm der Arzt bei. »Aber die
Amerikaner lagern diese fürchterlichen Vernichtungswaffen hier. Man spricht von
Standorten in Schleswig-Holstein. Erinnern Sie sich noch an die Blockaden in
Mutlangen?«
In Lüder tauchten vage die Erinnerungen auf.
Zahlreiche Prominente hatten die damalige Aktion unterstützt. Lüder
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