Sturmtief
Dov Eisenberg wortlos aus dem Golf. Der Mann war so
perplex, dass er keinen Widerstand leistete. Lüder drehte ihn um und drückte
die Arme Eisenbergs auf das Dach des Golfs. Dann fuhr er mit seinem Fuß
zwischen die Beine seines Kontrahenten und rückte dessen Füße auseinander.
»Ganz ruhig«, sagte Lüder, tastete den Mann
schulbuchmäßig ab und drehte ihn anschließend um, sodass sie sich
gegenüberstanden.
»Was ist hier los? Ein Überfall?«, fragte Eisenberg
atemlos.
Lüder las die Angst in den Augen des Israeli.
Zumindest zeigte der Mann keine Spur von Aggression.
»Was sollte das Ganze?«, fragte Lüder scharf und war
froh, dass seine innere Anspannung durch die Verfolgungsjagd nicht in seiner
Stimme mitschwang.
»Wer hat hier wen verfolgt?«, schimpfte Eisenberg
aufgebracht. »Habe ich Sie angehalten?«
»Sie haben mich verfolgt. Ich möchte wissen, warum.«
»Warum? Warum?«, echote Eisenberg. »Das ist die
dümmste Frage, die Ihnen einfällt, ja?«
»Ich habe Ihnen versichert, dass ich kein Verhältnis
mit Ihrer Frau hatte«, sagte Lüder mit Nachdruck. »Und nun reicht es mir.« Er
griff in seine Tasche, zog seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn Eisenberg
direkt vor die Nase. »Wissen Sie, was das ist?«
»Polizei?«, staunte der Israeli. »Was hat das zu
bedeuten?«
»Der mutmaßliche Liebhaber Ihrer Frau ist ermordet
worden. Ich ermittle in diesem Fall.«
Eisenberg schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und
wiederholte das Wort mehrfach.
»Doch.« Lüder musterte den Mann, der ihn ungläubig
ansah. Die vorher böse funkelnden schwarzen Augen stachen nicht mehr. Von Dov
Eisenberg schien urplötzlich die Spannung abzufallen.
»Ich suche doch nur meine Frau und habe gedacht, dass
Sie mich zu ihr führen.« Plötzlich krallten sich Eisenbergs Hände in Lüders
Revers. »Wo ist Hannah?«, schrie der Mann.
Lüder ließ ihn gewähren. Er wollte Eisenberg nicht an
dieser Stelle sagen, dass seine Frau ebenfalls ermordet worden war.
»Wir sollten das Gespräch auf einer Dienststelle
fortsetzen«, sagte Lüder.
»Polizei?« Eisenberg schüttelte heftig den Kopf.
»Nein«, rief er, und seine Augen hatten einen fast irren Glanz. »Nein! Ich
setze keinen Fuß in ein deutsches Polizeirevier.«
»Gut«, sagte Lüder. »Wenn Sie rechts abbiegen bis zu
der Abzweigung, an der die Straßensperre steht, dann wieder rechts in den Ort
hinein. Dort gibt ein Restaurant.« Lüder sah auf die Uhr. »In einer Stunde bin
ich dort.« Er reichte ihm eine Visitenkarte. »Damit Sie wissen, mit wem Sie es
zu tun haben.«
Dann drehte er sich um und ging auf den Lieferwagen
mit der Aufschrift »Großverbraucherservice« zu, der inzwischen auf der
Gegenfahrbahn eingetroffen war und aus dessen Fenster sich ein feister
Oberkörper lehnte. Der Fahrer trug einen weißen Kittel mit dem aufgestickten Firmenemblem.
»Seid ihr nicht ganz dicht?«, fluchte er. »Müsst ihr
die Straße versperren? Was soll der Scheiß?«
»Entschuldigung«, sagte Lüder, stieg in seinen BMW und gab die Fahrbahn frei. Als Dank
zeigte ihm der Fahrer des Lieferwagens einen Vogel. Dann drückte der Mann auf
die Hupe und fuhr in Richtung GKSS davon.
Als Lüder das Kraftwerk erreichte, standen die beiden
Tore weit offen. Mehrere Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes versuchten, trotz
aller Hektik die Übersicht zu bewahren. Immerhin waren die Männer so
vorsichtig, dass sie Lüder trotz Ausweis nicht auf das Gelände lassen wollten.
Erst nachdem sich einer beim Kraftwerksleiter rückversichert hatte, durfte
Lüder auf das Areal fahren.
Er kam nicht weit. Überall standen Feuerwehrfahrzeuge
mit zuckendem Blaulicht. Die Besatzungen in ihren schweren Arbeitsanzügen, den
gelben Helmen mit Leuchtstreifen und Visier standen in kleinen Gruppen herum
und diskutierten.
»Wo finde ich die Einsatzleitung?«, fragte Lüder.
Ein Feuerwehrmann zeigte mit ausgestrecktem Arm hinter
das Reaktorgebäude. »Dahinten.«
Es sah gespenstisch aus, wie die blauen Lichter mit
ihren Strahlen über die Wände der Gebäude zuckten. Dazwischen dröhnten die
Diesel der Fahrzeuge. Mehrere starke Scheinwerfer auf Stativen beleuchteten die
Szene.
Lüder wandte sich einer Gruppe von Feuerwehrmännern
zu, die miteinander diskutierten. Als er näher kam, sah er auch Zivilisten,
darunter Herwig von Sohl, der ebenfalls mit einem gelben Schutzhelm bekleidet
war. Lüder gesellte sich zur Gruppe und lauschte den Ausführungen eines
Uniformierten, der zunächst schniefte und dann
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