Sturmtief
»Definitiv.«
Das überraschte Lüder, weil es ihm bisher gelungen
war, Havensteins Weg nachzuvollziehen. Hier schien sich seine Spur zu
verlieren. Andererseits … Das Bild vom Haupteingang des Forschungszentrums
hatten die Spurensicherer auf der Kamera von Hannah Eisenberg gefunden. Ob die
Israelin allein, ohne Havensteins Begleitung, hier ermittelt hatte?
Lüder bat Dr. Bringschulte, sich noch einmal zu
erkundigen, ob eine weibliche Journalistin Gespräche in der GKSS geführt hätte.
Während der Bereichsleiter erneut zu seinem
Schreibtisch zurückkehrte, wandte sich Lüder an seine beiden Mitarbeiter.
»An welchem Projekt arbeiten Sie?«
Die beiden sahen sich an. War es Höflichkeit,
Unsicherheit oder Diskretion, dass es schien, als würde keiner antworten
wollen? Deshalb zeigte Lüder auf den Iraner.
»Wir entwickeln neue Werkstoffe für die
Verkehrstechnik, betätigen uns in der Spurenanalytik und beschäftigen uns mit
Werkstoffen für die Verwendung in medizinischen Prozessen. Sie müssen es sich
so vorstellen, als würden wir Metalle und Kunststoffe durchdringen. Statt
Röntgenstrahlen nutzen wir aber Neutronen. Dabei suchen und erforschen wir
deren atomare Strukturen.«
»Neutronen?«, fragte Lüder. »Das sind – laienhaft
ausgedrückt – atomare Teilchen. Woher bekommen Sie diese?«
»Nun«, Dr. Ahwaz-Asmari legte die Fingerspitzen zu
einem Dach zusammen und spitzte die Lippen, »dafür betreiben wir einen
Forschungsreaktor.«
»Und welche Gefahren können davon ausgehen? Ob groß
oder klein – ein Reaktor bleibt ein Reaktor.«
Der Iraner nickte. »Keine«, sagte er kurz und bündig.
Für ihn schien das Thema ohne weitere Erklärungen abgeschlossen zu sein. Er
schien froh zu sein, dass Dr. Bringschulte zurückkehrte.
»Hier war auch keine Frau, um Fragen zu stellen«,
erklärte der Bereichsleiter.
»Robert Havenstein hat Recherchen zum Zwischenfall
angestellt, der sich 1986 hier ereignet hat.«
In Dr. Bringschulte schien eine Wandlung vorzugehen.
»Davon weiß ich nichts. Und ich bin schon lange bei der GKSS «, sagte er in schroffem Ton. Alle Freundlichkeit war
von ihm abgefallen.
»Es ist kein Zufall, dass im Umkreis eine erhöhte
Leukämierate bei Kindern besteht«, warf Lüder ein.
»Alle diesbezüglichen Ermittlungen sind im Sande
verlaufen. Die Untersuchung der mit hochkarätigen Wissenschaftlern besetzten
Kommission hat keine Anhaltspunkte ergeben. Abgesehen davon haben sich alle
Ermittlungen auf unseren Nachbarn, das Atomkraftwerk, konzentriert.«
Lüder warf den beiden Mitarbeitern Bringschultes einen
Seitenblick zu. Der Iraner und der Koreaner folgten schweigend dem Dialog.
Dabei wanderten ihre Augen wie beim Tennis zu dem jeweils Sprechenden hin.
»Sie verwenden hier aber auch Uran«, sagte Lüder.
»Unter ganz anderen Umständen als die da drüben.« Dr.
Bringschulte nickte in Richtung des Atomkraftwerks.
»Beziehen Sie Ihre Brennstäbe aus der gleichen
Quelle?«
»Das können Sie nicht vergleichen. Es würde aber zu
weit führen, Ihnen das auseinanderzusetzen«, wich Dr. Bringschulte aus. »Uran
kommt heute hauptsächlich aus Kanada, Australien und Südafrika. Da sind
zuverlässige Quellen, und der Bedarf ist langfristig gesichert. Das ist
übrigens der große Unterschied zu den Gaslieferungen. Da sind wir von politisch
vielleicht fragwürdigen Lieferanten abhängig. Um für unsere Nachbarn in Krümmel
eine Lanze zu brechen: Im Unterschied zu allen anderen Betriebsformen ist
Atomkraft immer verfügbar.«
»Gibt es Verbindungen zwischen dem Atomkraftwerk und
Ihnen?«
Dr. Bringschulte lachte auf. Es klang fast ein wenig
befreiend. »Nein. Mit Ausnahme der Tatsache, dass uns nur ein Gartenzaun
trennt.«
Jetzt musste Lüder schmunzeln. Gartenzaun! Mit dieser
Formulierung waren die umfänglichen Sicherungsmaßnahmen sehr ironisch
umschrieben.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, beharrte
Lüder. »Nutzen Sie die gleichen Brennstäbe wie Krümmel?«
Dr. Bringschulte sah seine beiden Mitarbeiter an. Dann
schüttelte er den Kopf. »Wir machen hier etwas ganz anderes. Für unseren
Reaktor benötigen wir anderes Uran.«
»Ich bin Laie«, sagte Lüder. »Ist Uran nicht gleich
Uran?«
»Es unterscheidet sich zum Beispiel im Grad der
Anreicherung.«
Lüder erinnerte sich an die Erklärung Frau Dr. Brauns.
»Das Atomkraftwerk nutzt schwach angereichertes Uran. So etwa«, Lüder bewegte dabei
seine Hand in einer Wellenlinie, »um die fünf Prozent.
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