Sturmtief
Kinn in die Handflächen. Dann musterte er
Eisenberg lange und gründlich.
»Ich habe Sie nie auf einer Baustelle gesehen. Auf
keiner einzigen.« Lüder nahm den Kopf hoch, legte die Unterarme auf die
Tischkante, faltete die Hände zusammen und zischte Eisenberg wie eine Schlange
an, die auf ihre Beute zustieß. »Also! Reden wir Klartext miteinander. Sie
lügen. Sie sind kein Straßenbauingenieur.« Zum ersten Mal bemerkte Lüder, wie
Eisenbergs Augenlid nervös zuckte. »Wo ist Ihre Tochter? Die gemeinsame Tochter
von Ihnen und Hannah.«
Schlagartig entspannten sich Eisenbergs Gesichtszüge.
»Wir haben keine Tochter«, sagte Eisenberg.
Das hatte Lüder bezweckt. »Und warum haben Sie nie
nach dem Verbleib Ihrer Kinder gefragt, sondern sich immer nur nach Ihrer Frau
erkundigt?«
»Die sind in Israel gut aufgehoben und werden
hervorragend versorgt«, erwiderte Dov Eisenberg.
»Alle beide?«, fragte Lüder beiläufig.
»Ja – das heißt …« Eisenberg zögerte einen Moment.
»Sie bringen mich durcheinander. Es ist nur ein Sohn.«
»Und der dient zur Zeit in der Armee. Wie viele Kinder
werden Hannah Eisenberg das letzte Geleit geben?«, fragte Lüder fast im
Plauderton und lehnte sich dabei entspannt zurück. Dann griff er zu seiner
Tasse und trank den Rest Cappuccino aus. Anschließend wischte er sich mit dem
Handrücken den Schaum vom Mund. Mit dieser Frage hatte er Eisenberg aus dem
Konzept gebracht. Es zuckte um dessen Mundwinkel. Nur ein wenig. Aber das war
Lüder nicht entgangen.
»Was soll das heißen?«
»Ihr Deutsch ist so gut, dass Sie mich verstanden
haben«, erwiderte Lüder in aller Gelassenheit.
Eisenberg schlug die Hände vors Gesicht. »O Gott«,
jammerte er. »Bedeutet es, dass Hannah tot ist?«
Der Mann war ein hervorragender Schauspieler. Dank der
schützenden Hände vor dem Antlitz konnte Lüder die Reaktion nicht wahrnehmen.
Das war ein kluger Schachzug. Lüder ließ dem Mann Zeit. Er wollte ihm den
nächsten Schritt überlassen, wollte wissen, welche Finesse Eisenberg jetzt
anbrachte. Es gelang dem Mann, seinen Adamsapfel vor Aufregung hüpfen zu
lassen.
»Nein«, sagte Eisenberg schließlich. »Hannah lebt.«
»Hören Sie auf, hier den schluchzenden Hinterbliebenen
zu spielen. Ihr Interesse an Hannah Eisenberg ist nicht das des Ehemannes. Wer
sind Sie wirklich?«
Eisenberg nippte an seiner Kaffeetasse. Er wollte Zeit
gewinnen, winkte die Bedienung herbei und bestellte einen weiteren Kaffee.
Nachdem die junge Frau Lüder fragend ansah, nickte er und zeigte auf die leere
Tasse.
Eisenberg vermied es, Lüder anzusehen. Stattdessen
schweifte sein Blick zum gläsernen Fahrstuhl ab, der die beiden Etagen des
Einkaufszentrums miteinander verband. Es arbeitete in ihm, stellte Lüder fest.
Der Mann überlegte, was er Lüder erzählen konnte.
»Ich habe Ihnen meinen Pass gezeigt. Ich bin Dov
Eisenberg«, sagte er schließlich.
»Woher will ein selbst ernannter kleiner
Straßenbauingenieur gewusst haben, dass mein Großvater bei der SS war?«
»Das war so dahergesagt.«
Lüder spürte, wie Eisenberg sich in die Enge getrieben
fühlte.
»Sie stolpern über Kleinigkeiten. Oder wissen Sie
nicht, dass Hannah Eisenbergs Sohn noch zu jung für die Armee ist?«
»Ich habe nicht behauptet, dass der Sohn – unser Sohn
– beim Militär dient«, behauptete Eisenberg. Der Mann merkte selbst, wie
schwach seine Argumentation klang.
»Es sind die winzigen Dinge«, dabei deutete Lüder mit
Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt an, »die große Sachen zum Scheitern
bringen. Sie haben mich verfolgt, weil Sie ahnten, dass ich Sie auf die
richtige Spur bringen würde. Sie waren daran interessiert zu erfahren, woran
Hannah Eisenberg und Robert Havenstein gearbeitet haben.«
Eisenberg wandte sich ab. »Quatsch«, sagte er. »Ich
habe Sie für den Liebhaber meiner Frau gehalten.«
»Beenden Sie die Komödie. Ein noch so pfiffiger
Ingenieur findet seine angebliche Frau nicht so schnell, wenn diese in einer
Ferienwohnung Unterschlupf gefunden hat. Havenstein und Hannah waren kluge
Menschen. Und vorsichtig. Ich vermute, die beiden sind davon ausgegangen, dass
man sie verfolgt. Deshalb ist Hannah auch nicht zu Havenstein nach Eckernförde
gezogen, sondern in eine Gegend, die nichts mit dem Fall zu tun hatte, obwohl
die beiden ein Paar waren. Haben Sie gewusst, dass Hannah schwanger war?«
»Das kann nicht wahr sein«, jammerte Eisenberg und
schlug erneut die Hände vors Gesicht. »Meine
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