Sturmtief
Schreibtisch, nachdem ich gut und
reichlich zu Mittag gegessen habe. Übrigens – mit einer jungen Dame.«
Margit lachte. »Dann grüß Frau Beyer herzlich von
mir.«
»Woher weißt du …?«
»Na. Wer geht sonst mit dir essen?«
»Hmh. Mir könnte die Damenwelt Kiels zu Füßen liegen.«
Erneut war Margits jugendliches Lachen zu hören. »Aber
nur so lange, bis du die Bilder deines Harems auf dem Tisch ausbreitest: Viveka, Sinje, ich«, zählte sie auf. »Komm nicht zu spät nach Hause. Ich habe
etwas Schönes zum Abendbrot besorgt.«
»Was denn?«, fragte Lüder.
»Sei nicht so neugierig, mein Schatz. Ich hab dich
lieb.« Mit einem angedeuteten Kuss beendete Margit das Telefonat.
Lüder starrte noch auf den Hörer und hatte den Anflug
eines Lächelns auf dem Gesicht, als sich das Telefon meldete. Es war ein
Auswärtsgespräch, der Anrufer hatte aber seine Telefonnummer unterdrückt.
»Lüders.«
»Sie haben mich versetzt«, sagte die Stimme mit dem
fremdländischen harten Klang. Es klang wie ein Vorwurf.
»Es gab leider aktuelle Ereignisse, die mich daran gehindert
haben, unsere Verabredung wahrzunehmen. Ich bitte um Entschuldigung.«
»Ich habe es nicht gern, wenn man mich versetzt. Oder
an der der Nase herumführt. Sind Sie noch an einem Gespräch interessiert?«
»Selbstverständlich. Wo kann ich Sie erreichen?«
»Ich bin in Kiel.«
»Dann wäre es das Beste, Sie würden mich auf meiner
Dienststelle besuchen. Ich habe wichtige Neuigkeiten für Sie.«
Dov Eisenberg ging nicht auf diese Anspielung ein. Er
erwähnte aber auch mit keinem Wort, ob er bereits vom Tod seiner Frau Kenntnis
erhalten hatte. »Ich betrete keine deutsche Polizeistation«, erklärte er
kategorisch.
Lüder war versucht, ihm passend zu antworten,
unterdrückte aber eine entsprechende Replik. Er hatte nicht die Absicht, dieses
Gespräch für die Aufarbeitung historischer Themen zu nutzen. »Dann treffen wir
uns in einer halben Stunde …« Lüder zögerte zunächst, welchen Ort er wählen
sollte, aber Eisenberg kam ihm zuvor.
»Im Einkaufszentrum«, entschied er. »Das im Zentrum«,
ergänzte er und beendete das Gespräch, ohne die Antwort abzuwarten.
Lüder hatte ein ungutes Gefühl. Eisenberg konnte nur
den Sophienhof gemeint haben. Aber das Center hatte über fünfundsiebzigtausend
Quadratmeter Fläche und erstreckte sich über zwei Etagen, zudem gab es noch
Seitengänge und Sonderbereiche mit Ansammlungen gastronomischer Betriebe. Lüder
fielen auch die beiden großen Buchhandlungen am Ausgang zum Holstentörn, dem
Übergang zur Fußgängerzone durch Kiels City, sowie in der sogenannten
Querpassage ein, da in diesem Fall bereits zwei Morde in Verbindungen mit
Buchhandlungen geschehen waren.
Er seufzte, zog sich seine Jacke über und zögerte
dabei, ob er seine Dienstwaffe mitnehmen sollte. Mit einem Achselzucken zog er
die Jacke noch einmal aus, schnallte das Achselholster um, schob es so zurecht,
dass es nicht zu erkennen war, und schlüpfte erneut in die Jacke. Dann ging er
zum Parkhaus, in dem die Mitarbeiter der diversen Dienststellen des
Polizeizentrums Eichhof ihre Fahrzeuge abgestellt hatten.
Kiel ist eine lebendige, aber überschaubare Metropole.
Das und die Förde, die die Ostsee und die großen Skandinavienfähren bis ins
Herz der Stadt brachte, machte den Reiz der Stadt aus. Natürlich murrten die
Einheimischen über jede verkehrsbedingte Fahrunterbrechung, aber Staus, wie sie
die Autofahrer in anderen Großstädten er- und durchleben mussten, waren in Kiel
selten.
Lüder bog in die urbane Holtenauer Straße ab, in der
es von zahlreichen bunten Geschäften wimmelte, überquerte den Dreiecksplatz und
folgte dem Martensdamm, der den Kleinen Kiel durchschnitt. Hinter dem Kleinen
Kiel verbarg sich ein innerstädtischer See. Nach wenigen Minuten parkte er
seinen BMW im Parkhaus am ZOB . Er wählte den Fußweg durch den
nahen Hauptbahnhof. Vom Bahnhofsvorplatz warf er einen Blick über die
Fußgängerbrücke, die die Hörn überspannte, den letzten Zipfel der Förde, und
die Innenstadt mit Gaarden verband, dem ehemaligen Werftarbeiterquartier, das
heute je nach Betrachtungsweise als multikulti oder Problembezirk eingestuft
wurde.
Lüder nahm den Umweg durch das Hauptportal des
Kopfbahnhofs mit dem großen verglasten Rundbogen, fuhr mit der Rolltreppe
hinauf in die Wandelhalle und schmunzelte, als er zur Linken neben der
Reisebankfiliale die Leuchtreklame »Jonas Tabak« sah. Er hoffte, dass sich sein
Sohn
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