Sturmwelten 01
das Theater ja«, erwiderte Esterge abwiegelnd. »Aber man kann es nun einmal nicht immer besuchen.«
»Und das ist gut so. Wohldosiert muss es sein, nicht frei verfügbar. Wo ist der Wert dessen, was man jederzeit haben kann? Nein, für gewisse einfache Gemüter mag ein Roman passend sein, aber das Theater, mein Freund, ach, das Theater!«
Franigo versuchte, seinen verlorenen Faden wiederzufinden, da sah er Esterges amüsierten Blick und schwieg. Einen Moment drohte der Zorn, ihn zu übermannen, doch dann besann er sich, dass der Hauptmann nichts getan hatte, um seinen Groll zu verdienen, und er hob lächelnd den Weinkrug.
»Vielleicht habe ich etwas in Hast gesprochen«, gestand er großzügig. »Als harmloser Zeitvertreib mögen Bücher genau richtig sein. Das ist auch nur meine bescheidene Meinung.«
»Du? Bescheiden?«
Lächelnd schüttelte Franigo den Kopf: »Natürlich nicht. Aber es steht einem gut zu Gesicht, hin und wieder das eigene Können mit Bescheidenheit zu garnieren. Noch einen Schluck?«
»Gerne. Jedenfalls sagte mir meine Frau, die es in der Stadt gehört hat, dass sich Bücher immer besser verkaufen. Viele Verleger verdienen inzwischen ein hübsches Sümmchen damit.«
»Tatsächlich? Das ist interessant.«
Beide schwiegen eine Weile. Das war noch ein Vorteil der gemeinsamen Herkunft. Beide Männer wussten, dass man auch schweigen konnte, wenn es erforderlich war, und nicht die Luft mit sinnlosem Geplapper allein um des Redens willen füllen musste.
»Was war gestern eigentlich am Tor los?«, wechselte Franigo das Thema.
»Seine Exzellenz hat befohlen, die Bettler zu vertreiben, da er Besuch erwartete. Ich habe einige Soldaten geschickt, aber sie wurden mit Steinen beworfen.«
»Mit Steinen?«
»Ja. Ich musste mehr Soldaten abkommandieren, und es gab ein regelrechtes Handgemenge.«
»Erstaunlich. Ich würde denken, dass Bettler friedlich sind; immerhin wollen sie etwas von Princiess.«
»Hast du sie dir einmal angeschaut?«
»Nein«, bekannte der Poet stirnrunzelnd. »Wieso?«
»Sie sind nicht nur abgerissen. Die verhungern regelrecht. Einfaches Volk, das mehr Bälger als Brotkrumen hat. Und Invaliden, die ihre Gliedmaßen auf irgendeinem Schlachtfeld gelassen haben. Die sehen die Herrschaften und werden wütend, wenn sie kein Armenbrot bekommen.«
»Veteranen sind auch dabei?«
»Viele. Die Unglücklichen, die keine Leibrente bekommen. Oder deren Rente so niedrig ist, dass sie weder leben noch sterben können. Mir war gestern richtiggehend schlecht. Die ganze Zeit habe ich befürchtet, dass ich einen sehe, an dessen Seite ich gekämpft habe.«
Für einen Moment dachte Franigo an Imerol und nahm sich vor, seinen Kameraden in Bälde zu besuchen und ihm mit seinem neuen Wohlstand zu helfen.
Dann hob er seinen Becher: »Reden wir über andere Dinge, mein Freund. Der Abend ist jung, die Becher sind voll. Wer weiß, was der Morgen bringt?«
Sie prosteten sich zu und begannen ein tiefsinniges Gespräch über die Frage, ob aus den besten Weinregionen auch die feurigsten Frauen stammten und ob dieser Umstand erklärbar oder reiner Zufall sei.
JAQUENTO
Jaquento atmete tief durch und lehnte sich an die Reling. Neben ihm lachte Pertiz verhalten.
»Gute Arbeit, Jaq. Du hast sie überzeugt.« Unsicher blickte der junge Hiscadi dem Boot hinterher, das zwischen den beiden Schiffen hindurchtrieb.
»Vielleicht fährt sie nur zurück, um uns danach in feinste Splitter schießen zu lassen«, vermutete er.
»Nein, ich denke nicht. Wenn die Thayns hätten Ärger machen wollen, dann hätten sie es hier getan.«
»Die Offizierin hatte nur sieben oder acht Soldaten dabei«, widersprach Jaquento. »Wir sind hundert. Das wäre reiner Selbstmord gewesen.«
Jetzt lachte Pertiz lauter: »Du kennst die Thayns nicht. Sie sind genauso arrogant. Sie halten sich für die Könige – und Königinnen – der See, für die rechtmäßigen Herrscher über alles, was schwimmt. Und die arrogante kleine Carado hätte erwartet, dass wir uns einfach ergeben.«
Das konnte Jaquento nicht glauben. Die hoch aufgerichtete Figur in dem Boot war zugegebenermaßen unhöflich und anmaßend gewesen, doch sie hatte keineswegs verrückt genug gewirkt, um mit einem halben Dutzend gegen ein ganzes Hundert zu kämpfen.
»Sie ließ jedenfalls Manieren vermissen«, erklärte er, was Pertiz nickend bestätigte.
»Für Manieren haben die Thayns selten etwas übrig, obwohl sie immer steif und ungelenk sind, als ob man ihnen einen
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