Sturmwelten 01
voller Seeleute und ohne Ladung ist ein seltener Anblick, nicht wahr?«
»Ich bin sicher, dass Ihr in den Sturmwelten noch seltsamere Dinge sehen werdet, Meséra. Und der Orkan hat andere Schiffe weitaus mehr mitgenommen. Wir hatten noch Glück.« Sein Lächeln war verschwunden, als würde ihn die Erinnerung betrüben.
»Ja, es war ein übler Sturm, da haben Sie recht.«
»Kann ich noch etwas für Euch tun, Meséra?«, erwiderte er und breitete die Arme aus. »Dieses Schiff und seine Besatzung stehen Euch gänzlich zur Verfügung.«
»Nein, ich denke nicht. Wir überlassen die Überprüfung der Papiere den Hafenbehörden. Sie können Ihre Fahrt fortsetzen.«
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr und Euer Schiff ebenfalls in den Hafen einlauft?«, fragte er unvermittelt. Überrascht nickte Roxane, was ihn höflich den Kopf neigen ließ. »Nun, dann haben wir vielleicht das Glück, uns in einer weniger … formellen Atmosphäre wiederzutreffen, Meséra.«
»Ich bezweifle, dass wir uns in denselben Kreisen bewegen«, erwiderte Roxane kühl. Er redet mit mir, als ob er mich gleich zum Tee bitten wollte. Dabei wird dieses Gesindel vermutlich sofort vom Hafenmeister festgesetzt. Wer weiß, was die auf dem Kerbholz haben!
»Vielleicht nicht, Meséra; doch wir werden sehen«, entgegnete Jaquento freundlich. »Meinen Gruß und den meines Kapitäns an Euren Kapitän. Gute Fahrt, Meséra, eine offene See und stets zwei Faden Wasser unter dem Kiel!«
»Ja, danke.« Überrumpelt salutierte sie erneut, bevor sie die Soldaten in das Boot beorderte. Als sie selbst hinabstieg, fiel ihr Blick noch einmal auf den jungen Mann, der sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete. Während die Seeleute sie zur Mantikor zurückruderten, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, doch das freche Grinsen und die wohlgesetzten Worte des Fremden gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
FRANIGO
Die Zeit , dachte Franigo müßig, hat einiges mit dem Wein gemein : Der gute war zu schnell getrunken, während der schlechte schier nicht schwinden wollte .
Zum Entzücken des Poeten erwies sich der Princiess als äußerst großzügiger Mann. Es mangelte dem Poeten an nichts, seine Speisen wurden vom Leibkoch des Fürsten zubereitet, der vorzügliche Weinkeller seines Mäzens stand ihm jederzeit offen, und seine Börse war stets prall gefüllt. In geradezu fiebriger Hast verfasste er nicht nur die in Auftrag gegebene Komödie, sondern auch eine Reihe von Gedichten, die, obschon von schlüpfriger Natur, doch wohlgesetzt und mit dem notwendigen Schuss Wortwitz gewürzt waren, und offenbar verfehlten sie die beabsichtigte Wirkung nicht, denn der Princiess verlangte oft nach mehr.
Im Laufe der Tage, die wie im Flug verstrichen, lernte er die anderen Bewohner des Palasts kennen, auch wenn der Hausherr selbst nur ein sporadischer Gast auf seinem Anwesen blieb. Eine besondere Freundschaft, die vor allem in ihrer gemeinsamen Heimat fußte, verband Franigo bald mit Esterge, dem Hauptmann der persönlichen Garde des Princiess. Es stellte sich rasch heraus, dass sie gleichzeitig im selben Krieg gefochten hatten, wenn auch an zwei verschiedenen Fronten, gegen zwei verschiedene Gegner, und wenig verbindet mehr als echtes oder eingebildetes gemeinsam Erlebtes, vor allem, wenn es Geschehnisse sind, die allen Beteiligten noch Albträume bereiten können. Solcherart Kriege hatte Géronay mit seinem in erzwungener Treue stehenden Vasallen Hiscadi mehr als genug geführt und, zum Erstaunen der ganzen Welt, häufiger gewonnen als verloren. Die hiscadischen Regimenter waren gefürchtet, und auch wenn sie inzwischen unter dem Rosenbanner von Géronay marschierten, erschütterte ihr Schritt noch die Welt, wo immer sie auch auftauchten.
Über die gemeinsamen Erinnerungen hinaus besaß Esterge ein offenes Ohr für die Poesie, was bei einem Mann seiner Profession selten genannt werden konnte. Da Franigo das Gästehaus seines Gönners komplett zur Verfügung stand, war er häufig abends der Gastgeber für den Hauptmann, der wiederum für den Wein aus der Heimat sorgte. Denn darin waren sich alle Hiscadi einig: géronaischer Wein mochte mit Wasser verdünnt über den Tag zur Erfrischung geeignet sein, am Abend jedoch brauchte man den dunklen Roten, dessen Rebstöcke nur in der mit dem Blut ihrer stolzen Kinder getränkten Erde Hiscadis gedeihen konnten, wo das Leid der Menschen Niederschlag in Musik, Kunst und auch in den Trauben fand.
So saßen sie zusammen, genossen
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