Sturmwelten 01
den Wein und die letzten Reste des Abendessens, und häufig rezitierte Franigo aus dem Werk des Tages; ein Arrangement, das zur Zufriedenheit beider Männer funktionierte.
»Denkst du nicht, dass die Worte zu schwer wirken?«, fragte der Hauptmann und nahm gedankenverloren einen Schluck Wein.
»Ich verbinde die typischen Elemente der Burleske mit der Satire, mein Freund. Ich erschaffe eine ganz neue Art der Komödie!«
»Ich weiß nicht …« Der ältere Mann strich sich über den schon ergrauten Bart und blickte Franigo fragend an.
Der Zweifel seines Freundes ärgerte den Dichter. Lange hatte er darüber gebrütet, welcher Art sein neues Werk sein sollte. Natürlich galt es, die Wünsche Guremans zu berücksichtigen, doch für den Poeten gab es nur diese eine Möglichkeit, bei Hofe den richtigen Eindruck zu hinterlassen. Es missfiel ihm, andere nachzuahmen, vor allem aber auch, sich selbst zu kopieren.
Offenbar gab es am Hof derzeit nur zwei Arten von Theater: die Tragödie und das Possenspiel. In einem Anflug von Genialität, den Franigo sich selbst gern zugestehen wollte, hatte er beschlossen, seine Komödie über den einfachen Scherz hinaus mit einer Moral zu erhöhen, wie man sie sonst nur in einer Tragödie finden mochte. Traditionell waren die Figuren der Komödie eher die einfachen Leute, während in der Tragödie der Adel vorherrschte. Doch Franigo brach mit dieser Tradition, inspiriert durch die Bitte des Princiess, seinen politischen Feind als lächerliche Figur zu zeichnen.
Das Ergebnis war äußerst befriedigend, und er würde dem Theater damit seinen ganz eigenen Stempel aufdrücken. Es wäre einfach gewesen, eine simple Charakter- oder gar Typenkomödie zu schreiben, doch eine solche hatte in den Köpfen der Zuschauer nicht lange Bestand. Aber ein Machwerk, das die Menschen überraschte und packte, würde überdauern, und der Name seines Schöpfers würde den unterhaltungssüchtigen Bürgern der Hauptstadt im Gedächtnis bleiben.
»Du musst die Wirkung auf der Bühne bedenken«, erklärte Franigo eifrig. »Die Kostüme, die Wortgewalt der Akteure. Schließ die Augen, und stell dir vor, wie es im Theater wirkt.«
»Ich weiß nicht«, wiederholte der Hauptmann, nicht überzeugt. »Ich habe mich neulich an einem Roman versucht …«
Weiter kam er nicht, denn Franigo stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Wage es nicht, die hohe Kunst der Dramatik mit solcher Wortklauberei zu vergleichen! Auf dem Thron des Wortes sitzt die Dramatik, zu ihrer Rechten die Lyrik, und alles andere kriecht davor im Staube.«
Der Hauptmann brummte nur unschlüssig.
»Außerdem habe ich erst vor Kurzem mit dem Leibarzt seiner Exzellenz gesprochen, und er vermutet, dass diese neumodische Belletristik negative Auswirkungen auf die Psyche und damit auch auf die Physis haben kann.«
Esterge zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe und blickte Franigo aus dunkelbraunen Augen an. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass seine simple Lektüre so weitreichende Folgen haben könnte. »Wie das?«
»Nun, während man im Theater die ganze Kunst in der angemessenen Zeit präsentiert bekommt, dorthin geht, aufsteht, klatscht, sich unterhält und dergleichen mehr, also in Bewegung ist, liest man ein Buch zumeist allein, in einer ungesunden Haltung, die dem Menschen abträglich ist. Die Säfte sacken herab, man wird passiv, faul und kränklich. Und wir wollen gar nicht von jenen billigen Taschenspielertricks reden, mit denen in Romanen die Gefühle des Lesenden aufgewühlt werden. Einfachste Agitation, mehr ist es nicht!«
»Mir gefallen Romane. Und anders als im Theater kann ich die besten Stellen wieder und wieder erleben.« Nun zeigte sich ein leichtes Lächeln auf den Zügen des Hauptmanns.
»Diese Gefälligkeit ist genau das Problem. Während im Theater alles anschaulich dargestellt werden muss, stehen in Büchern Allgemeinplätze. Denk daran, auf der Bühne siehst du die Figuren vor dir, du erkennst ihre Kleidung, ihren Habitus, alles. Im Buch mag stehen: ein Mann . Ja, was für ein Mann? Alt, jung, arm, reich? Alles muss man sich zusammenreimen. Der Autor wälzt seinen Part frech auf den Leser ab!«
»Wird der Leser denn nicht dadurch klüger, dass er selbst denken muss?«
Mehr und mehr redete sich Franigo in Rage und bemerkte dabei nicht, dass sein Gegenüber ihn mit mildem Spott bedachte.
»Unsere Jugend wird verdorben durch diese sogenannte schöne Literatur. Abenteuerromane! Pah! Schund, sage ich!«
»Ich mag
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