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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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worden, das langsam über die Steine lief. Blut von Soldaten, von Aufsehern und von Sklaven; auf dem Boden vermengte es sich und war nicht mehr zu unterscheiden. Die Toten lagen nebeneinander, ungeachtet ihrer Hautfarbe. Die Paranao hatten keine Zeit, um sie zu bestatten, und keine Möglichkeit, sie mitzunehmen. Sie konnten sich nur um die Überlebenden kümmern.
    Seit sie vom Turm hinuntergestiegen waren, wandelte Sinao in einem Traum. In der Vernichtung, die sie umgab, trug er die Züge eines Albtraums, doch irgendwo in der Ferne kündigte sich eine Veränderung an. Sie stand vor Tangyes Leib. Selbst tot wirkte der große Mann noch bedrohlich. Doch er konnte ihr nichts mehr tun; seine Zeit war vorüber. Majagua hatte sie beendet.
    »Zum Strand«, keuchte der junge Paranao neben ihr. »Die Schiffe sind da.«
    Sinao reagierte nicht, sondern starrte weiter auf den Leichnam. Es erschien ihr unmöglich, dass in dieser Hülle so viel Hass und Zorn gesteckt hatten. Dass so viel Leid von diesem Fleisch, diesen Knochen und diesem Blut ausgehen konnte.
    »Wir müssen zum Strand«, drängte Majagua immer noch atemlos. Jetzt erst gelang es Sinao, sich von dem Anblick zu lösen. Sie schaute ihrem Liebsten in die Augen. Zum ersten Mal sah sie ihn als Freie an. Sie waren keine Sklaven mehr.
    »Führ du sie, Chenao . Ich hole noch Brizula und die anderen aus der Küche.«
    Er schwieg einen Moment, dann nickte er. Die Anstrengung war in seinem Antlitz deutlich zu erkennen. Sicher schmerzten seine Wunden, doch er biss tapfer die Zähne zusammen. Er ist ein Krieger, dachte Sinao stolz. Und er wird einst ein großer Caquice sein! Aber einst ist einst, und jetzt ist jetzt – und ich muss mich um die Küchensklaven kümmern und ihnen sagen, dass sie keine mehr sind. Sie verstecken sich bestimmt unten und haben Angst. Sanft hauchte Majagua ihr einen Kuss auf die Lippen, dann wandte er sich ab und humpelte zum Tor, die Hand auf die Seite gepresst. Besorgt sah sie ihm kurz nach, lief dann aber in die Gebäude. Sechsunddreißig Soldaten sind tot. Zwei waren unten am Lager. Bleiben neun. Hoffentlich haben sie sich irgendwo verkrochen. Sie hatte Majagua nichts von dieser Rechnung erzählt; er wurde gebraucht, und sie musste ihren Teil tun.
    Vorsichtig schlich sie durch die Gänge des Forts. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie allein und verletzlich sie war, und sie wünschte sich, sie hätte Majagua nicht fortgeschickt. Doch die anderen Paranao brauchten ihn. Nach Baras Tod musste er sie anführen. Also biss sie die Zähne zusammen und lief weiter.
    Endlich erreichte sie die Treppe und blieb stehen. Ihr Herz hämmerte, doch darüber konnte sie leises Schluchzen hören. Stufe für Stufe stieg sie hinab und zuckte jedes Mal zusammen, wenn ihre nackten Fußsohlen auf den kühlen Stein klatschten. Die Tür war zu, und als sie dagegendrückte, bewegte sie sich kaum.
    »Brizula. Bebe. Ich bin es. Sinao«, flüsterte sie erst leise, dann ein wenig lauter. Ein Schaben ertönte, als würde ein schweres Möbelstück bewegt. Dann schwang die Tür auf.
    Die ehemaligen Sklaven, die von ihrer Befreiung noch nichts wussten, standen zusammengedrängt in der Ecke. Nur Brizula hatte genug Mut bewiesen, um den Küchentisch, den sie vor die Tür geschoben hatte, beiseitezurücken. Beruhigend hob Sinao die Hände: »Alles wird gut; ihr könnt aufstehen. Die Blassnasen sind tot. Tangye ist tot. In der Bucht sind die Schiffe der Fremden. Sie nehmen uns mit, fort von hier.«
    Sie schwieg drei Herzschläge lang, bevor sie sagte: »Wir sind keine Sklaven mehr.«
    Die Bedeutung ihrer Worte drang nur langsam in den Geist der Befreiten ein. Brizula starrte sie mit offenem Mund an, während Bebe ungläubig den Kopf schüttelte.
    »Wir müssen aufbrechen«, erklärte Sinao geduldig. »Zum Strand. Packt Essen ein. Und nehmt Wasser mit. Alles, was von Wert sein könnte.«
    »Aber wie… aber wo werden wir hingehen?«, fragte Brizula.
    Sinao zögerte. Sie hatte nicht bedacht, dass einige der Sklaven so lange auf der Insel gewesen sein mochten, dass sie kein anderes Zuhause mehr kannten. »Das weiß ich noch nicht. Aber wird es nicht überall besser sein als hier?«
    Jetzt kam Leben in die kleine Gruppe. Hastig folgten sie Sinaos Aufforderung. Ohne den hustenden Dagüey eines Blickes zu würdigen, durchquerte das Mädchen die Küche, nahm ein Talglicht und stieg hinab in den Keller. Nach der Wärme der Küche war die Kühle hier unten angenehm, und als sie den Zemi aus

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