Sturmwelten 01
das Leben zumeist in ein Korsett von Regeln gesteckt, das so eng geschnürt war, dass die reine Freude zu ersticken drohte. An diesem Ort hingegen herrschte hiscadische Lebensart vor, die man durchaus als grob oder sogar grobschlächtig bezeichnen konnte, wenn man ihre Feinheiten nicht verstand. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sich in dieser Taverne vor allem jene Exilanten trafen, denen das Schicksal nicht besonders gnädig gewesen war – die Mittellosen und jene, die Franigo gern als die in ihren Mitteln Eingeschränkten bezeichnete. Noch zählte er sich selbst zu den Letzteren, doch das tägliche Leben und die Notwendigkeit, zu repräsentieren, fraßen seine letzte Habe auf.
Also saß er an seinem Tisch, vor sich ein Blatt des billigsten Papiers, das er hatte auftreiben können, und schrieb. Er setzte die Zeilen so eng wie möglich, denn auch billiges Papier war teuer. Seine Umgebung war trotz der Lautstärke geradezu perfekt für sein Vorhaben, da er plante, mit einigen anzüglichen Zeilen etwas Handgeld zu verdienen. Zwar hatte man sein letztes Stück aufgeführt, doch nur in wenigen Vorstellungen, und der Besitzer des Theaters weigerte sich standhaft, seinen monetären Verpflichtungen nachzukommen. Angeblich waren die Vorstellungen so schlecht besucht gewesen, dass nicht einmal die Kosten gedeckt waren. Der Poet misstraute diesen Behauptungen, denn als er im Theater gewesen war, hatte die Truppe vor ausverkauftem Saal gespielt. Vielleicht war der Besitzer des Theaters deshalb so unerschütterlich in seinen Behauptungen, weil er wusste, dass Franigo kein Geld für einen Advokaten, geschweige denn für einen Prozess hatte. Außerdem würde ein géronaischer Richter im Zweifel stets seinem Landsmann mehr Gehör schenken als einem hiscadischen Poeten; ein bedauerlicher, aber auch unabänderlicher Umstand. In pekuniären Angelegenheiten hielten die Géronaee noch fester zusammen als Pech und Schwefel.
Blieb also nur das geforderte Bändchen mit anzüglichen Reimen. Eigentlich eine Arbeit, die Franigo aus dem Handgelenk schütteln konnte, nur sein Stolz ließ nicht zu, dass er weniger als die bestmöglichen Verse abgab. Selbst wenn sie nur in den Bordellen und Boudoirs der Damen von zweifelhaftem Ruf geflüstert werden würden, hinter vorgehaltener Hand und mit mutwilligem Kichern, blieben es doch seine Worte, und dementsprechend gewaltig mussten sie sein. Ein paar mokante Reime aufs Papier schmieren konnte jeder géronaische Satzverdreher, aber selbst in diesen Niederungen Kunst zu finden, das war nur für einen hiscadischen Dichter von Franigos Format erreichbar.
Während er nachdenklich an dem schweren Wein seiner Heimat nippte, suchte er nach den richtigen Formulierungen. So vertieft war er in seine Arbeit, dass er nichts mehr um sich herum wahrnahm und erst überrascht aufsah, als eine Hand auf seinem Tisch auftauchte. Verwirrt folgte sein Blick dem schmutzigen Hemdsärmel hinauf, und schließlich sah Franigo einen untersetzten, unrasierten Mann, der ihn mit alkoholgetrübten Augen unsicher anstarrte.
»Ich hab dein Stück gesehen«, erklärte der Fremde mit dem feierlichen Ernst eines Betrunkenen.
»Erfreulich, Mesér«, erwiderte Franigo knapp und widmete sich wieder seiner Arbeit.
»Ne, eben nicht. Dein Stück war überhaupt nicht lustig!«
Nicht nur ließ die Aussage es an Respekt mangeln, auch die Anrede war beleidigend persönlich. Seufzend senkte Franigo die Schreibfeder – ein altertümliches Relikt in Anbetracht moderner Schreibutensilien, doch er schätzte den Charme der Tradition in gewissen Dingen sehr – und schüttelte betrübt den Kopf.
»Mesér, auch wenn ich Offenheit durchaus für eine lobenswerte Eigenschaft halte, muss ich Euch dennoch für die Form und den Inhalt Eurer Worte tadeln.«
»Hä?«
»Aus meinen Augen, bitte, Mesér. Ich habe zu tun.«
»Mit deinem Gekritzel machst du den Ruf von uns allen kaputt. Alle denken, wir Hiscadi wären nur stinkende Ziegenhirten!«
Natürlich hatte der Betrunkene seine Stimme erhoben, und ebenso natürlich war nun die ganze Aufmerksamkeit der Anwesenden auf ihre Unterhaltung gerichtet. Es ist der Fluch des Genius, dass es immer weniger begabte Menschen gibt, die sich solcherart an ihm vergreifen, dachte Franigo und lächelte finster.
»Hör zu, mein betrunkener Freund: Ich bin Franigo …«
»Jaja, ich weiß, wer du bist!«
»Offensichtlich nicht. Nimmst du deine sicherlich hastig und womöglich gar unüberlegt ausgestoßenen
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