Sturmwelten 01
in die Männerbaracken«, erklärte er ruhig.
Diesmal nickte Sinao nur. Aber Brizula flüsterte: »Der Caserdote sagt …«
Sofort fuhr Tangye herum und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Schnauze! Was der Caserdote quatscht, interessiert mich nicht! Hier gibt es nur einen Gott: mich!«
Brizula war zusammengezuckt, ihre Hände kneteten ihre Schürze, und sie flüsterte: »Ja, Herr.«
»Vielleicht sollte ich dich gleich mitnehmen? Für eine Nacht in den Baracken oder für ein paar Tage am Seil?«
Die ältere Frau schüttelte nur benommen den Kopf, während ihr Tränen über das Gesicht liefen. Nimm mein Gebet nicht ernst, Anui, bitte nicht , flehte Sinao in Gedanken. Bestraf sie nicht so. Ihr wurde kalt, sie konnte die Gänsehaut auf ihrem Rücken spüren.
»Soll ich auch aufschreiben, für wie viele Wochen die Vorräte reichen, Herr?«, fragte sie in die sich ausbreitende, tödliche Stille hinein. Insgeheim zählte sie die Sekunden, die schmerzhaft präzise vorüberzogen.
»Du bist eh zu alt«, stellte Tangye endlich lächelnd fest, während er Brizula geringschätzig musterte. Dann nickte er Sinao zu. »Mach das.«
»Ja, Herr.«
Die Augen zu Boden geschlagen, wartete Sinao, bis Tangye an der Tür war, doch er drehte sich überraschend noch einmal um und ließ seinen Blick über die Küchensklaven schweifen.
»Sin hier ist für euch verantwortlich. Ihr habt viele Freiheiten – vielleicht wisst ihr das gar nicht mehr zu schätzen. Sollte noch einmal jemand von euch ungehorsam sein, dann werde ich Sin dafür zur Verantwortung ziehen.«
Niemand wagte, etwas zu sagen. Sinao fühlte sich auf einmal ganz leicht, als sie seine Worte hörte. Die Leichtigkeit stieg auf, bis sie auch in ihrem Kopf war und jeden Gedanken einfach mit sich zum Himmel hob, während Sinao leer zurückblieb.
»Habt ihr mich verstanden?«
»Ja, Herr«, erwiderten sie wie mit einer Stimme, sogar Sinao, deren Mund diese Worte formte, die sie gar nicht begriff. Endlich lief Tangye die Treppe empor, und Brizula sackte zu Boden, schluchzend, von Weinkrämpfen geschüttelt. Sinao indes stand einfach nur ruhig da, während die anderen die alte Frau in die Arme nahmen und trösteten. Niemand kam zu ihr. Lediglich Bebe warf ihr finstere Blicke zu, als sei alles ihre Schuld. Fünfhundertneunundvierzig Tage bin ich nun auf dieser Insel. Wie lange werde ich noch bleiben müssen?
Wie immer, wenn Sinao die Gänge der Festung verließ, umklammerte sie die schwüle Hitze mit festem Griff und nahm ihr für einen Moment den Atem. Selbst jetzt am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, war die Luft schwer und feucht. Auf der Klippe wehte wenigstens ein leichter Wind von See, auch wenn dieser warm war, doch unten im Lager musste es zwischen den Hütten schier unerträglich sein.
»He«, murmelte der Soldat, der sie heute begleitete, »nicht so langsam.«
Seine Stimme klang müde, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen, aber Sinao war nicht so dumm, auf seine Erschöpfung zu vertrauen, sondern beeilte sich, seinem Befehl nachzukommen.
Die Männer und Frauen der Compagnie hatten einen breiten Pfad angelegt, der zu einer in den Fels geschlagenen Treppe führte. Ab- und Aufstieg waren immer mühselig, doch dafür lag das Fort perfekt oberhalb des Hafens und konnte mit seinen schweren Kanonen die Einfahrt in die Bucht kontrollieren. Gefolgt von den Küchensklaven und dem Soldaten, ging Sinao hinab zu der Anlegestelle und von dort den Weg hinauf zum Lager. Hinter ihr schnauften Bebe und Kalan, die den schweren Kessel an zwei langen Stöcken zwischen sich trugen. Wie immer öffneten die Wachen das Tor bereits, bevor sie dort angekommen waren, sodass die kleine Gruppe einfach in das Lager hineingehen konnte – bis auf den Soldaten, der bei seinen Kameraden am Tor blieb und sich auf seine Muskete stützte.
Der Geruch des Lagers legte sich schwer auf Sinaos Geist, eine trübe Mischung aus Schweiß und Abfällen, mit einem stechenden Unterton von Urin. Riecht so Hoffnungslosigkeit? Einige der Bewohner kamen sofort angelaufen, ihre Holzschalen wie Trophäen vor sich her tragend. Andere kamen langsamer, erschöpft vom Tagewerk oder auch einfach nur krank vor Furcht, Heimweh und Schmerz. Manche rührten sich kaum, blickten nur auf, um den Kopf matt wieder sinken zu lassen. Sinao senkte den Blick und zwang sich, nicht auf die Gesichter der Sklaven zu achten. Sie wusste, dass sie dort nur Leid finden würde. Früher hatte sie gelächelt, mit den Neuankömmlingen
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