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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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ihre Lippen, ohne dass sie es gewollt hätte. »Was?« Unwillig ließ Tangye die Peitsche sinken, löste seinen Blick von dem Jungen und sah zu Sinao herüber.
    »Du?«
    Sie nickte stumm. Der Aufseher kam näher, sie konnte seinen Schatten auf sich spüren, sah seine staubigen Stiefel vor sich. Beim letzten Mal hat er zweihundertzwölfmal zugeschlagen, bevor der Sklave tot war , erinnerte sich Sinao. Anui, was habe ich getan?
    »Lügst du mich an, Sin? Du würdest mich nicht anlügen, nicht wahr? Du willst mich nicht anlügen.«
    »Nein, Herr«, antworte Sinao. Sie musste wieder daran denken, was die Sklaven über Tangye sagten – er spürt, wenn man lügt -, und schluckte. »Warum sollte ich lügen, Herr? Sie werden mich für meine Ungeschicklichkeit bestrafen. Und wenn er daran schuld wäre, warum sollte ich für ihn lügen?«
    Zu ihrem eigenen Erstaunen war ihre Stimme fest, bis auf genau jenen Hauch von zittriger Angst, der darin liegen musste, um Tangye zu überzeugen. Sie hätte schreien mögen, vor Furcht aufheulen, doch sie hielt still. Jeden Augenblick rechnete sie mit dem Geräusch der Peitsche. Die Schmerzen kamen erst später, das wusste sie. Zuerst hörte man nur den Schlag, spürte den Druck, bevor die Pein sich wie Feuer durch die Haut fraß. So wie bei dem Jungen gerade. Über ihr schwieg Tangye, und sie konnte hören, wie er sich den Bart rieb. Die Sekunden verstrichen und wurden zu Ewigkeiten, geprägt von Todesangst.
    »Sin, du bist heute sehr täppisch«, erklärte der Aufseher schließlich. »Aber niemand soll sagen, dass ich nicht gerecht wäre. Du bekommst heute keine Ration, weil du seine verschüttet hast. Pass demnächst besser auf!«
    Das Geräusch seiner Stiefel entfernte sich, zwanzig Schritt, einundzwanzig, zweiundzwanzig. Sinao sog Luft in ihre Lungen. Unbewusst hatte sie kaum geatmet, und nun keuchte sie, während ihr Tränen in die Augen stiegen. Der Tod ist wieder an mir vorübergegangen. Unsicher stand sie auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Strähnen ihres Haars hatten sich gelöst und hingen ihr ins Gesicht. Plötzlich voller Wut, packte sie ihre widerspenstigen Locken und band sie mit Gewalt nach hinten, bis ihre Kopfhaut schmerzte. Ihr Blick fiel auf den Jungen, der sie wie betäubt anstarrte. Wie die Schafe, wenn ihnen die Soldaten die Kehlen durchschneiden, um sie zu schlachten , dachte sie und musste lachen. Schafsjunge! Mäh!
    Als Tangye aus dem Tor schritt, kam Bewegung in die Sklaven. Mit wehendem Rock rannte Brizula zu Sinao und nahm sie in ihre kräftigen Arme.
    »Du dummer, böser Gabu «, fauchte sie den Paranao an, der nun ebenfalls stand und sich immer noch unsicher umschaute, während er den verletzten Arm vor die Brust presste. »Tangye hätte dich töten sollen!«
    »Lass gut sein, Brizula«, flüsterte Sinao und löste sich aus ihrer Umarmung. »Wir verteilen weiter das Essen.«
    Die ältere Frau nickte, obwohl sie dem Jungen nach wie vor giftige Blicke zuwarf. Ein letztes Mal strich Sinao sich über ihren Rock, dann kehrte sie zurück zum Brotkorb. Aus dem Augenwinkel sah sie den Jungen stocksteif dastehen, und sie winkte ihm zu. Ungelenk näherte er sich, und sie sah die Furcht in seinen Augen, als hätte sie Macht über ihn.
    »Deine Schale.« Sie wies auf den im Staub liegenden Napf. »Hol sie.«
    Ohne Widerworte bückte er sich und kam mit seiner Holzschale wieder.
    »Sin, nein«, flüsterte Brizula, aber Sinao sah sie scharf an: »Gib ihm seine Ration, Brizula.«
    Als sie jedoch den fragenden Blick der Älteren wahrnahm, fügte sie sanft hinzu: »Bitte.«
    Widerwillig hob Brizula die Kelle empor und füllte den Napf. Sinao hatte das Haupt hoch erhoben und sah dem Jungen in die Augen, als sie ihm sein Brot gab. Dann wurde er von den anderen, hungrigen Sklaven beiseitegeschoben. Den Rest der Essensausgabe erlebte Sinao wie im Traum. Ihre Gedanken waren zu schnell, als dass sie einen Sinn in ihnen hätte erkennen können. Die Zahlen waren das einzig Klare in ihrem Kopf, und sie zählte jeden Sklaven, jedes Stück Brot.
    Der Paranao schien verschwunden zu sein, doch als sie mit den anderen Küchensklaven ihre Sachen zusammenpackte, kam er zu ihr.
    »Warum hast du das getan?«, flüsterte er. Immer noch sah Sinao Furcht in seinen Augen, und sie hörte das Flehen in seiner Stimme.
    »Damit Brizula ihre Wette nicht gewinnt.«
    Sie konnte sehen, dass ihn diese unverständliche Antwort erstaunte, aber dann lief sie schon mit den anderen aus dem Lager,

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